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Brave men are funny

■ Marcel Ophuls, dessen Sarajevo-Film "Veille d'armes" zum Abschluß des Forums läuft, im Gespräch über Sensationen und Gefühle, Wahrheit und Fälschung im Kriegsjournalismus, Sendeschemata und Einschaltquoten an der ...

Marcel Ophuls (geb. 1927) hat sich mit seinen Dokumentarfilmen immer auch Feinde gemacht. „Le chagrin et la pitié“ (1970) war der erste große Film über die französische Kollaboration. Die Ausstrahlung im Fernsehen wurde vom damaligen Präsidenten Giscard d'Estaing prompt verhindert. Giscards Nachfolger Mitterrand hat sich Ophuls auch nicht gerade zum Freund gemacht. „Veillée d'armes“ attackiert die französische Politik und Mediakratie in einer Schärfe, die im höfischen Pariser Mediensystem unüblich ist. Aber in erster Linie handelt der Film von der Geschichte des Kriegsjournalismus. An Hand der Berichterstattung über Sarajevo zeigt Ophuls, wie die Bilder vor Ort gemacht werden – und wie sie die Fernsehgewaltigen zuhause ins Sendeschema pressen.

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taz: Am Ende ihres Films redet Martha Gellhorn, die große alte Dame des Kriegsjournalismus, mit viel Pathos über „la causa“ im spanischen Bürgerkrieg. Sie unterlegen diese Stelle mit einem sentimentalen Walzer...

Marcel Ophuls: Also ich bin mit den Adjektiven schon mal nicht einverstanden. Ich finde nicht, daß die Gellhorn pathetisch ist. Vielleicht hat sie, wie viele Leute, die damals aus politischen Gründen beteiligt waren, nicht die „Hommage to Catalonia“ gelesen, aber darum ging es mir auch nicht. Ich wollte darauf hinweisen, daß in Madrid, Barcelona und Sarajevo Journalisten in eine Situation kommen, in der sie das Tragische gleichzeitig als eine Solidarität empfinden und in der sie anders funktionieren als in Situationen, in denen der Krieg eben ein Frontkrieg ist. Wenn ich mich richtig erinnere, ist der gefühlsmäßige Anschluß nicht die Stelle über „la causa“, sondern die über Robert Capa, den Fotografen. Gellhorn sagt: „Brave men are funny.“ Das finde ich eine so schöne und so irrsinnig traurige Aussage. Sie spricht ja dann auch über Capas Tod, und daß er aus Langeweile gestorben ist. Er hatte einfach die Nase voll von diesem Hornochsen, der immer von Strategie sprach und ist spazierengegangen und auf eine Mine getreten.

Wir hatten diese Musik als Ironisierung aufgefaßt. An der Stelle schließt sich ja der Film. Am Anfang hatten Sie den Satz zitiert: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“ Nun spricht Gellhorn von der Unmöglichkeit, daß Capa sein berühmtes Foto eines fallenden republikanischen Soldaten gestellt haben könnte. Das wird vorher aber gerade nachgewiesen. Einer, der berühmt dafür war, die Wahrheit zu verteidigen, hat ein Bild gestellt.

Wenn Philipp Knightleys Recherchen stimmen, dann kann man sich nicht drücken, dann ist es eine Fälschung. Knightley erklärt ja, wie er meint, daß es dazu gekommen ist. Die Stelle in meinem Film soll zeigen, daß das Leben eben so gemischt ist. Ein Mann, der so viel Mut hatte! Capa hat den ersten GI in der Normandie von vorne fotografiert, mit den deutschen Maschinengewehren im Rücken! Er war, wie alle damals, mit den Kommunisten befreundet, darum hat er das mit dem Bild vielleicht nicht richtiggestellt. Und er war ein kleiner und unbekannter ungarischer Jude – natürlich war LIFE der Schlüssel für Fotografen. Das Bild hat ihn berühmt gemacht.

Gibt es eine Fälschung im Interesse der Wahrheit?

Nee. Das ist auch der Grund, warum ich das reinnehme. Martha Gellhorn sagt ja gerade, daß sie es unvorstellbar findet und daß alle dagegen gewesen wären. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich finde, daß niemand sich immer so verhält, wie man es gerne hätte. Wir alle machen mal Kompromisse. Aber daß man im Dienst der Wahrheit nicht lügen darf, das ist das A und O des Berufs. Da ist die Grenze zur Propaganda. Man kann subjektiv sein, man kann Ansichten haben, man kann auch Vorurteile haben. Ich bin voller Vorurteile! Aber man darf nicht die Realität entstellen. Das ist ja das Grauenhafte am Ende dieses Jahrhunderts: Gerade sind die Hauptlügen zusammengebrochen, da enstehen plötzlich wieder solche pseudo-philosophischen Fragen, zu denen die Herren Professoren sehr beigetragen haben, die Frankfurter Schule, Foucault oder Barthes.

Le relativisme moral?

Wenn die Journalisten, die ursprünglichen Quellen zur Zeitgeschichte, für die gute Sache lügen dürfen, dann ist doch unser ganzes Leben entstellt. Alles geht flöten, wenn man nicht die Einstellung hat, a tree is a tree is a tree is a tree. Es gibt ja Leute, die sagen, daß es gar keine Realität gibt. Da sind wir dann gleich wieder beim Historikerstreit und bei Auschwitz. Dann ist gleich wieder alles im Eimer.

Politisch stehen Sie auf der gleichen Seite wie Bernard-Henri Lévy...

Ganz und gar.

...und doch zitieren Sie den Vorwurf, er hätte für seinen Film „Bosna“ gefälscht.

Nein, nicht gefälscht! Na ja, ich zeige diese Passage mit dem Maschinengewehrfeuer, wo er in die Knie geht. Da gibt es so Theorien drüber. Da kann ich nichts zu sagen. Der Canard enchainé hat schon darüber berichtet. Dieser Filmausschnitt ist mir vom bosnischen Fernsehen, von Leuten, die Lévy offensichtlich nicht mögen, zugeschickt worden.

Wird er denn nicht wirklich beschossen?

Es ist halt ein bißchen unwahrscheinlich. Diese Wand, vor der sie stehen, gehört zum PTT-Building, dem Hauptquartier von Unprofor. Da landen ab und zu mal Granaten, weiter weg. Aber diese Art von Schüssen... Lassen wir das. Vor allem bin ich filmisch nicht mit ihm einverstanden. Diese Voice-of- God-Commentaries. Ich habe all meine Dokumentarfilme gemacht, um dem aus dem Weg zu gehen. Aber politisch bin ich hundertprozentig auf seiner Seite. Ich finde, daß er diese Sache sehr gut vertritt, auch couragiert.

Es geht in Ihrem Film darum, wie man die Wahrheit vermittelt. Haben Sie so etwas wie eine „Wahrheitstechnik“?

Diese Frage stellt sich bei meiner Arbeit aus praktischen Gründen jeden Augenblick. Gar nicht metaphysisch, philosophisch, das wäre auch furchtbar pathetisch und prätentiös, wenn man sich sozusagen als Wahrheitsfabrikant empfinden würde.

Gehören zu dieser „Wahrheitstechnik“ auch die spielerischen Szenen, in denen Sie selbst vor die Kamera treten?

Ja, aber darum macht man mir auch den Vorwurf, ich sei narzißtisch geworden. Das hat damit zu tun, daß ich diesen Objektivitätsanspruch der Manager, diesen Société-spectacle-Anspruch brechen will. Die liefern Informationen, mit denen gar keine Stellungnahme verbunden ist, geschweige denn eine persönliche, und darum dachte ich: Wenn ich reise, dann muß ich das auch zeigen. Wenn ich die Frage der Vermittlung von Realität stelle, über die Schulter von Journalisten, dann muß ich auch im Bild anwesend sein.

Müssen Sie die Realität durch die lange Anreise nach Sarajevo sozusagen erst wieder schaffen? Es hat ja auch immer etwas Irreales, diese Journalisten in ihren zwei- Minuten-Schnipseln vor zerfetzten Kulissen...

...und es führt zu einer Eskalation des Sensationellen. Soll man einen Premierminister am Abend vor seiner Exekution in seiner Gefängniszelle besuchen? Soll man ein kleines Mädchen filmen, das unrettbar in einem Schlammloch versinkt? Soll man einen kleinen Jungen zeigen, dessen Augen zerschossen sind, soll man zeigen, wie seiner Mutter mitgeteilt wird, daß er nie mehr wird sehen können?

Soll man?

Ich finde nicht. Patrick Poivre d'Arvor (Star-Anchorman des französischen Fernsehens, der so berühmt ist, daß man ihn nur noch „PPDA“ nennt) bringt dazu in meinem Film die übliche Theorie vor: Fernsehen sei eben das Informationsmittel, das über die Gefühle laufe. Das ist eine sehr managerhafte Ansicht, dieser Glaube, daß Gefühle durch immer größere Sensationen gefördert werden. In Wirklichkeit geht es nur um die Einschaltquoten.

Kurz nach dem Fernsehausschnitt mit dem blinden Jungen schalten Sie eine Szene aus „Lola Montez“ ein: Peter Ustinov als Zirkusdirektor mit Peitsche, fordert das Publikum auf, Fragen zu stellen.

Die Verwechslung von Sensation und Emotion ist eine teuflische. Da ist der Film meines Vaters prophetisch. Niemand im Zirkus interessiert sich wirklich für das Leben dieser Frau. Ganz zu schweigen von ihrer Würde, im Gegenteil: Die wird zerstört. Gefühle werden zerstört. Der römische Zirkus hat die Gefühle nicht verfeinert, er schlägt sie tot.

Die alten Filmausschnitte in Ihrem Film kommen einem oft viel realer vor, als die Fernsehausschnitte, zum Beispiel dieser Fliegerfilm mit Cary Grant.

Ach! Sie meinen Howard Hawks „Only angels have wings“. Der lief jetzt gerade wieder im französischen Fernsehen. Wie Hawks sich vorstellt, daß eine Frau in diesen Männerclub aufgenommen wird – heute nennt man das glaube ich male chauvinism – das hat viel mit meinem Film zu tun. Und wie die Frauen eben aufgenommen werden können, auf welcher Basis, nämlich Freundschaft, Zivilcourage.

Haben Sie je daran gedacht, einen Spielfilm über Sarajevo zu machen?

Natürlich. Man kann Filme über alles machen. „Eins, zwei, drei“ ist ein besserer Film über diese Mauergeschichte als die gesamte Berichterstattung, die es darüber gibt und die wir zum Glück längst vergessen haben. Selbstverständlich kann man das. Ich kann es nicht. Kein Hollywoodstudio würde mich dahin schicken. Ich würde viel lieber Spielfilme machen.

Sie haben mal einen Spielfilm mit Jean-Paul Belmondo und Jeanne Moreau gedreht, „Peau de banane“. Warum haben Sie danach nie wieder einen gemacht?

Ich bin nicht dazu gekommen. Da gibt es ja komische Probleme: Man muß finanziert werden.

Hatten Sie Drehbücher?

Ja, ja, die hatte ich. Übrigens wird „Peau de banane“, seit ich ein so großes Renommee als Dokumentarfilmer habe, von Filmhistorikern als irgendwie daneben betrachtet. Die haben ihn wahrscheinlich gar nicht gesehen. Das ist ein guter Film!

Noch mal zurück zu Ihrer „Wahrheitstechnik“. Die Leute verplaudern sich häufig in Ihren Filmen. Wie machen Sie das?

Länge! Alle Leute fangen an zu plaudern, wenn man ihnen das Gefühl gibt, daß sie nicht in eine bestimmte Schublade gesteckt werden. Das wissen Sie doch selber. Das schlimmste ist, den Leuten das Gefühl zu geben, nicht auf die Antworten zu hören, sondern nur zu warten, bis man die nächste Frage stellen kann.

Dann haben die Fernsehjournalisten gar nicht die Chance, die Wahrheit zu berichten. In Zwei- Minuten-Beiträgen ist das kaum zu schaffen.

Das liegt aber nicht nur an der Länge. Das Problem ist der final cut. Den haben im Fernsehen die Manager. Ich sollte für arte einen Themenabend über die Bundestagswahlen machen und habe mit Sabine Rollberg verhandelt, der Chefredakteurin. Es ging hin und her, wir waren uns ziemlich einig, und ich wollte es auch gerne machen, aber irgendwann kam der Zeitpunkt, wo ich nach einem Vertrag fragen mußte, der meine Rechte sicherte. Der arte-Chef Jérôme Clement ist nicht mein Freund, François Mitterand ist nicht mein Freund, und Helmut Kohl ist auch nicht unbedingt mein Freund. Ich muß mich doch absichern. Und was sagte Frau Rollberg? „Ich verstehe nichts von Verträgen.“ Ich bitte Sie, was ist das für eine Einstellung? Das ist die Einstellung von einem Fernsehjournalisten. Da ist nicht viel zu verstehen. Da ist nur zu verstehen, daß man schwarz auf weiß die Garantie braucht, daß niemand in den Schneideraum kommt.

Wie erklären Sie sich eigentlich die proserbische Haltung der französischen Politik?

Das ist Virtuosentum. So wie Menuhin Geige spielt, so ist Mitterrand Berufspolitiker. Er versteht es, mit Einschaltquoten und Meinungsumfragen, von denen Politik heute abhängig ist, umzugehen. Mitterrand weiß, daß er seinen proserbischen Zynismus nicht durchhalten könnte, wenn er sich nicht jede Minute bewußt wäre, daß die öffentliche Meinung hinter ihm steht. Nicht, daß die öffentliche Meinung proserbisch ist, so ist es nicht. Aber die Tatsache, daß niemand für Sarajevo sterben will, gibt Mitterrand natürlich Rückendeckung. Ohne sie hätte er seine Politik nicht machen können.

Worum soll es im dritten Teil Ihres Films gehen, den Sie noch vorbereiten?

Genau darum. Wir hätten eingreifen können, wir hätten eingreifen müssen. Und die Konfrontierung zwischen dem Holiday Inn von Sarajevo, in dem sich die Journalisten über die Lage einig sind, und den Machtpolitikern und der öffentlichen Meinung – das ist der dritte Teil. Wie in einem Western, der shoot out: Der kommt ja. Es gibt genug Politiker, die sagen, „was die Journalisten machen, ist sentimentaler Quatsch. Die erschweren uns unsere Arbeit.“ Das sollte im dritten Teil stattfinden.

Und wann kommt der?

Das weiß ich nicht. Das Material ist schon vorhanden. Zu neunzig Prozent liegt es im Schneideraum, ich brauche nur noch drei, vier Drehtage.

Finden Sie keinen Finanzier?

So ist es. Der Film ist ja kein Kassenschlager.

Interview: Anja Seeliger

und Thierry Chervel

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