: „Wir haben die Fliegen“
Nach einem bequemen 2:1 beim VfL Bochum glaubt der offizielle Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni an die Wichtigkeit der Zukunft ■ Aus Bochum Christoph Biermann
Erinnert sich noch jemand an Giovanni Trapattoni? Das war der italienische Trainer des FC Bayern München bis zum Ende der Vorrunde. Während der langen Wochen der Winterpause fiel Herrn Trapattoni das schwere Heimweh seiner Frau nach dem Land der Zitronen auf. Außerdem meldete sein Sohn an, daß er demnächst sein Studium in Italien aufnehmen wolle. Familiäre Bindungen spielen jenseits der Alpen noch eine ganz andere Rolle als hierzulande, denn der Junior war nicht etwa glücklich, endlich aus dem mit Pokalen und Medaillen vollgestellten Haus des Vaters ausrücken zu können, sondern wollte die Nähe seiner Eltern am Beginn seines neuen Lebensabschnitts nicht missen. Oder haben wir es hier mit einem besonders extremen Beispiel des Nesthocker-Phänomens zu tun? Jedenfalls kündigte Trapattoni an, daß er am Ende der Spielzeit Bayern verlassen und nach Italien zurückkehren würde. Dann erklärte er noch, daß er gerne in München geblieben wäre, denn die Mannschaft sei ihm ans Herz gewachsen und alle Schwierigkeiten wären überwunden, seit er genug Deutsch sprechen würde, so daß seine Spieler ihn endlich auch verständen.
Leider hörte dem armen Giovanni Trapattoni schon niemand mehr so recht zu. Otto, der König von Bremen, ist nämlich auf den FC Bayern herniedergekommen, und das entfacht einen Medienwirbel, gegen den die Neubesetzung eines Außenministerpostens vergleichsweise eine Nicht-Nachricht ist (siehe auch nebenstehenden Press-Schlag). Familienvater Trapattoni war auf einen Schlag vergessen. Was sehr schade ist, hätte er uns doch bestimmt noch eine Menge über Fußball zu sagen. Nun werden wir vielleicht nie erfahren, was das genau sein könnte. Gebannt hingen nach dem 2:1-Sieg seiner Mannschaft in Bochum mehrere Dutzend Journalisten an Trapattonis Lippen und versuchten gleichzeitig, Sinn auf ihren Notizblöcken herzustellen. „Heute glaube war wichtig Gewinn. Wichtig, warum? Wir haben drei, vier Spieler verletzt. Am Fang dieser Runde für junge Spieler Zukunft ist wichtig“, hob er an, und bereits da waren die Bleistifte schon beiseite gelegt, um fasziniert die wunderbaren Gesten des Trainers und die emphatisch vorgetragenen Satzfragmente aufnehmen zu können. Offensichtlich sprach er über Kostadinow, der ja auch wirklich gut war. Welche Begeisterung für den Fußball, welches Wissen um dieses Spiel wurde ahnbar. Aber blieb leider nur eine Ahnung, als Bochums Trainer Toppmöller den Raum betrat und verwundert feststellte, daß es bereits ohne ihn losgegangen war. Trapattoni entschuldigte die Eile und lieferte auch gleich die Begründung nach: „Wir haben die Fliegen.“
Vielleicht hätte uns Giovanni Trapattoni auch noch Geheimnisse des ansonsten sehr geheimnislosen Kicks verraten können. Mäßig war das Spiel und hysterisch nur die Atmosphäre drumherum, die in vielem an Mittelstufenfeten erinnerte. Die Anhänger des deutschen Rekordmeisters scheinen sich vornehmlich in diesem Alter zu befinden und anläßlich der Auftritte ihres Teams echt wilde Sachen zu machen. Sie rauchen (auf Backe?), trinken Bier, und ihre Freundinnen stehen hinterher am Mannschaftsbus und kreischen, wenn Michael Sternkopf kommt. Der VfL, immer guter Gastgeber, bot brav den richtigen Rahmen, bollerte Techno im Kinderformat über den Platzlautsprecher (neben Marusha sind dafür inzwischen offensichtlich sogar Klaus & Klaus zuständig) und ließ sich auf dem Weg zur sechsten Heimniederlage auch sonst höflich einseifen.
Vermutlich wird in der nächsten Zeit häufiger die Rede davon sein, daß Klaus Toppmöller um sein Amt als VfL-Coach nicht zu beneiden sei. Nichts ist falscher als das, denn seinen Spielern gilt es noch vieles beizubringen. Was für einen Sportpädagogen doch reizvoll sein müßte. So hatte er ihnen in den Wintermonaten Manndeckung ausgetrieben und Raumdeckung eingebleut. Und das mit sichtbarem Erfolg, denn vieles funktionierte da ganz prima.
Miteinander reden sollten sie, was sie auch lauthals taten, als Zugabe wurde noch viel mit den Armen gerudert und gewunken. Daß sein Manndecker Uwe Stöver nicht schneller ist, als er ist und damit viel langsamer als Alexander Zickler, daß Torwart Andreas Wessels beim zweiten Gegentor formschön am Ball vorbeiflog, fällt unter die Rubrik Schicksal. Oder wie hatte Aleksandar Ristic, der bosnische Trainerkauz, diese Probleme bereits vor Jahren zusammengefaßt: „Wie will ich machen Schweine zu Rennpferd?“ Und wie, so dürfte Toppmöller ergänzen, soll ich mir Stürmer machen, wenn sich meine die Knie verdrehen, Beine brechen, Sehnen zerren oder Appetitzügler essen? So gab es kaum Torchancen, die keine Stürmer nicht vergeben konnten. „Es sollte wieder mal nicht sein“, bilanzierte der VfL-Trainer. Und eigentlich wäre das auch ein schönes Motto, das sich der Verein um sein Wappen schreiben könnte.
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