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J'amuse!

Nicht Strukturen freilegen, sondern aufwirbeln, was da liegt – Auch Marcel Ophuls war in Sarajevo: „Veillées d' Armes“ im Forum  ■ Von Mariam Niroumand

Neuerdings gibt es ja diese Schneekugeln mit was anderem drin als Schnee; erst wenn man sie schüttelt, tritt es schillernd zutage. Ein neues Bild ergibt sich, auch wenn sich an den Szenerien wie Funkturm, Sandmännchen, Hochzeit et cetera überhaupt nichts geändert hat. Ähnlich funktionieren die Filme von Marcel Ophuls: Er wirbelt auf, was daliegt; es geht ihm – im Gegensatz zu seinem Antipoden Claude Lanzmann – nicht um Freilegung der Strukturen, er will die Details aufblitzen lassen. Der Rest ist viel zu evident.

Wie schon in „Le chagrin et la pitié“ (1969), dem Portrait einer französischen Provinzstadt unter dem Vichy-Regime, dem Klaus- Barbie-Porträt in „Hotel Terminus“ (1985), der Reflexion über die Nürnberger Prozesse „The Memory of Justice“ (1973) oder wie in seinem letzten Film „November Days“ (1990) über den Fall der Berliner Mauer ensteht der Zunder, den Ophuls entfacht, aus den eigenartigen Konfrontationen mit seinen Gesprächspartnern. Gut fährt, wer sich leicht in eine Burleske einfinden kann; versteckte Nazis findet Ophuls nicht wie ein Ankläger, sondern wie der Grand Guignol persönlich; elegant und verschlagen fletscht er eine lückenhafte Zahnreihe und lüpft mitunter seinen Hut: „Sehen Sie, das ist ein Hut wie ihn alle Größenwahnsinnigen tragen, ob Fellini oder Mitterrand.“ Die solchermaßen Angepirschten reden sich um Kopf und Kragen. Wenn sie etwas zu verheimlichen haben – Ophuls wird es finden. Abgesehen davon, daß diese Methode journalistisch extrem effizient ist, ist sie natürlich auch filmisch souverän: Vielleicht hat Nanni Moretti sein Selbstbewußtsein, uns die Welt über das eigene Tagebuch, die eigene Interaktion vorzuführen, von Ophuls. Der macht das immerhin seit dreißig Jahren und hat sich noch nie darum geschert, daß man so etwas glatt Autorenkino nennen könnte.

Kein Krieg für postmoderne Denker

Das Projekt, eine Geschichte des Kriegsjournalismus zu verfilmen, hatte er eigentlich schon im Golfkrieg realisieren wollen: Die Idee von einem großen Hotel, in dem Korrespondenten pokern, Bier trinken und auf den Abtransport an die Frontlinien warten (oder auch nicht), hatte ihn gereizt. Aus verschiedenen Gründen ließ sich das aber nicht machen, und so ist er eben „zwar nicht mit dem Orient- Expreß, aber immer noch bequemer als in einem Viehwagen“ nach Sarajevo gefahren.

Wieder sieht man, wie unterschiedlich die Rezeption der Kriegsberichterstattung in beiden Fällen war: Während der Golfkrieg eine Renaissance der – meist schlecht gelesenen – Schriften Baudrillards oder Virilios mit sich brachte, käme niemand am Beispiel Sarajevo auf die Idee, den inzwischen dort erschossenen vierzig Journalisten und ihren Kollegen nachzusagen, sie hätten Krieg simuliert. Als Ophuls eine orthodoxe Beerdigungsprozession vorbeiziehen sieht, fragt er den Kollegen von der BBC: „Machen die jetzt hier für uns eine Show, oder ist da wirklich jemand drin im Sarg?“ Daß diese Arrangements stattfinden, ändert für ihn, der eben genau genug hingeguckt hat, nichts an dem überwältigenden Rest: Der New York Times-Korrespondent John F. Burns, die stille Eminenz der dort Arbeitenden, im Gespräch mit einem Arzt, der seit zwei Jahren mit Taschenlampen und ohne ausreichend Sauerstoff und Anästhetika operiert; Gordana Knesevic, Journalistin bei Oslobodjenje, die berichtet, wie die ausländischen Kollegen sie mit Nachrichten aus Serbien, mit Batterien, Faxgeräten und Hintergrundinformationen aus ihren Heimatländern versorgen; die Schriftstellerin Martha Gellhorn, die als einzige Journalistin mit dem ersten amerikanischen Schiff am Spanischen Bürgerkrieg teilnahm und erzählt, das größte Problem am Krieg sei doch die Langeweile, denn während die Belagerten immer noch warten müßten, könnte der Kriegsberichterstatter schon dahin weiterziehen, wo etwas los ist, also solle man doch aufhören, sie zu glorifizieren; der Schauspieler aus Susan Sontags Truppe, dem beide Beine abgeschossen wurden und dessen Bericht Ophuls mit einem Steptanz-Ausschnitt aus dem Musical „Give my regards to Broadway“ beendet.

Im ersten Teil, der „an der Front“ spielt, geht es hauptsächlich um das Agreement zwischen den Journalisten und den Bürgern Sarajevos und die Verarbeitung von Informationen (Franzosen suchen mehr nach dem „Human Interest“, wenn die Engländer eine Träne sehen, erklären sie sie). Im zweiten Teil geht es darum, was in den jeweiligen Sendeanstalten, Zeitungen und Magazinen dann aus diesen Informationen wird. Wenn ich sage „spielt“, ist das ganz ernst gemeint. Ophuls, der am liebsten Musicals machen würde, will, daß seine Dokumentationen wie Spielfilme funktionieren: daß John F. Burns sein Held ist, hat er mit einem Ausschnitt aus „Only Angels Have Wings“ unterstrichen; die Marx Brothers reagieren auf einen besonders pompös geratenen französischen Bericht mit ihrer Art der Kriegsführung (radikale Beschneidung der Helmtroddeln vorbeidefilierender Soldaten). Eine schallende Ohrfeige ist der Filmausschnitt, der auf den Bericht über eine Mutter folgt, die ihren eben nach einem Schrapnell-Einschlag erblindeten Sohn im Krankenhaus besucht hat. Draußen vor der Tür stürzt der Journalist auf sie zu und fragt: „Was werden Sie machen, wenn er nun nicht mehr sehen kann?“ Es folgt ein Ausschnitt aus „Lola Montez“ (von Max Ophüls), in dem ein Zirkusdirektor um die Belagerte herumläuft und ruft: „Posez de questions, Messieurs- Dames, les plus indiscrètes, les plus penibles, les plus méchantes!“

Weder cinéma verité noch Propaganda

Natürlich haßt Ophuls das cinéma verité, aber ebenso natürlich haßt er Propagandafilme vom Schlage „Bosna!“, dem J'accuse des „Neuen Philosophen“ Bernard-Henri Lévy. Der weiß nicht nur schon vorher, was er sagen will, und erlebt deshalb auch nicht wie Ophuls so manche Überraschung. Darüber hinaus hat Lévy auch noch – wie sich in „Veilleés d'Armes“ herausstellt – in größerem Stil Filmaufnahmen anderer Journalisten verwendet, ohne je um Erlaubnis gefragt und ohne sich je selbst der Gefahr ausgesetzt zu haben, für die er sich dann rühmt.

Meine Lieblingsstelle ist diejenige, die das Scharnier zwischen den beiden Teilen bildet: Zurück in Wien sitzt olle Ophuls und rasiert sich; hinter ihm, auf dem Hotelbett, liegt eine schöne Wiener Hure und prostet ihm aus ihrem Sektglas zu. Ja, es kämen öfter mal Journalisten auf dem Weg nach Sarajevo vorbei. Neulich sei beispielsweise ein italienischer Herr dagewesen, der gesagt hätte, er müsse in zwei Tagen dort sein und habe also wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben. Da habe der womöglich ein wenig übertrieben? „Ich glaube, er hat ein wenig übertrieben“, grinst Ophuls und zieht vor der Dame seinen Hut.

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