: Toter Vogel gebiert Ente
Schneller Brüter in Kalkar per Anzeige zum Kauf angeboten / Doch nicht für eine Mark zu haben ■ Aus Kalkar Walter Jakobs
Noch können mutige Investoren einsteigen. Allerdings ist der „tote Vogel“, wie Graf Lambsdorff die Bauruine des schnellen Brüters in Kalkar nannte, nicht für eine Mark zu haben. Diese von Agenturen verbreitete Meldung weist der Sprecher der Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) als „Ente“ zurück. Ansonsten mag RWE-Pressesprecher Schüren sich zu Kalkar nicht äußern. Mit dem teuersten Milliardengrab der deutschen Atomindustrie möchte der Essener Energiegigant am liebsten gar nicht mehr in einem Atemzug genannt werden.
Abgewickelt wird die 7,5-Milliarden-Mark-Ruine am Niederrhein von der „Schnell-Brüter Kernkraftwerksgesellschaft mbH“ (SBK) – mit RWE als Mehrheitsgesellschafter. Seit dem ersten Spatenstich am 24. April 1973 dabei ist Werner Koop. Zunächst als Kraftwerksdirektor, jetzt als Geschäftsführer der SBK. Der einzige verbliebene Hauptamtliche spricht inzwischen von „einer Art Briefkastenfirma“. Die verbleibenden Aufräumarbeiten läßt Koop von Fremdfirmen erledigen, um den künftigen Nutzern alles „besenrein“ übergeben zu können.
Einen zweistelligen Millionenbetrag müssen die Investoren laut Koop für die 290.000 Quadratmeter große Fläche samt Gebäude schon löhnen. Von wegen eine Mark! Wer immer die 17 Hektar erstünde, er sähe sich mit einigen Problemen konfrontiert. Da ist zunächst ein geänderter Flächennutzungsplan, den der Rat der Stadt Kalkar Ende 1993 verabschiedete und der für das Gebiet eine landwirtschaftliche Nutzung vorsieht. Interessierte Landwirte sollten gleichwohl die Finger von dem bebauten Acker lassen, denn der Abriß ginge mit 150 Millionen Mark ganz schön ins Geld.
Die finanziell höchst potente Essener Muttergesellschaft hält sich bei dem Abriß ganz bedeckt. Mit Recht, glaubt Koop, denn „unsere Gebäude genießen rechtlichen Bestandsschutz“. Die Stadt „kann deshalb beschließen, was sie will. Wenn sie den Abriß will, muß sie ihn bezahlen.“ Tatsächlich zielte der Ratsbeschluß auch nicht auf die Landwirtschaft. Vielmehr wollten die Stadtväter Druck machen, um von RWE eine Entscheidung über die künftige Nutzung des Geländes zu erzwingen. Ein Hintertürchen in Richtung gewerblicher Nutzung läßt der Beschluß für den Fall offen, daß ein neues Konzept präsentiert wird. Auf dieses Schlupfloch können Investoren hoffen.
Einige Interessenten hat Koop nach der Veröffentlichung nebenstehender FAZ-Anzeige schon an der Angel: „Wir wissen nur noch nicht, wie ernst die Angebote gemeint sind.“ Bis zum Verkauf des Geländes betätigt sich der begeisterte Atomstromanhänger weiter als Teileverwerter. Schreibtische und Kupferkabel, Notstromaggregate und Natrium wechselten schon die Besitzer – für einen „zweistelligen Millionenbetrag“. Bei den hochwertigen Turbinen biß hingegen noch niemand an.
„Spätestens im nächsten Frühjahr“ will der Chef der RWE- Tochter wieder bei der Mutter in Essen Unterschlupf finden. Sollte sich bis dahin kein Käufer finden, verbliebe im „toten Vogel“ nur noch ein Pförtner. Abwechslung böten dem bedauernswerten Einsiedler dann allenfalls noch die Angler, die in dem vier Meter breiten Wassergraben, einst als Barriere gegen Atomgegner ersonnen, auf Forellen und Hechte gehen.
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