: Umberto Eco, einzig und dreifaltig
Wie die taz der italienischen Presse einmal zu einem aufregenden und arbeitsreichen Wochenende verhalf ■ Von Jörg Lau
Am vergangenen Samstag um 15.36 Uhr schlägt die italienische Nachrichtenagentur Ansa einen ungewohnt theologischen Ton an: „Umberto Eco uno e trino“ – Umberto Eco, der Dreifaltige. „Der Philosoph, Semiologe und erfolgreiche Erzähler“, so die Agentur, „der Medienstar und Autor logischer Paradoxa steht im Zentrum eines seltsamen Berichts der Berliner Tageszeitung taz, dem Organ der deutschen Linken, der sich mit dem Problem der Identität Ecos beschäftigt ...Für Stefan Schomann, der für den eineinhalb Seiten langen Artikel zeichnet, ist Eco in Wirklichkeit die Erfindung dreier Personen, vereint durch eine Freundschaft, die zu Beginn der fünfziger Jahre in den Hallen der Universität von Turin begann.“
Es folgt ein langes Referat der von Schomann berichteten Enthüllungen, das die Kollegen der italienischen Wochenendzeitungen gründlich auf Trab bringt: Am Sonntag setzen sich Corriere della Sera, La Stampa und La Reppublica mit der in der taz vorgestellten Theorie auseinander. Im Corriere kommt Emilio Tadini zu Wort, ein italienischer Autor mit einer konkurrierenden These. Tadini hatte in der Literaturzeitschrift Leggere vor einigen Monaten mit den Ergebnissen einer „exakten Untersuchung über Umberto Eco“ Aufsehen erregt: Hinter dem Label dieses Autors verberge sich eine multinationale Texterzeugungsgesellschaft aus Philosophen, Historikern, Semiologen, Ethnologen, Schriftstellern etc. – die „Eco Incorporated“. In wenigen Stunden seien die Exemplare von Leggere aus den Buchhandlungen und Bibliotheken verschwunden. Offenbar, so Tadini, habe jemand sie en bloc aufgekauft – um sie verschwinden zu lassen! Nachdem Tadini seine eigene Theorie dargelegt hat, wendet er sich dem Artikel zu, der „an prominenter Stelle in der taz erschienen ist, einer der Linken nahestehenden Berliner Tageszeitung“. Es folgt eine Wiedergabe des taz-Artikels, Kommentar: „Annäherungen, offenbar verzerrt. An der Grenze zur Legende.“
Unterdessen erreicht die Redaktionen eine zweite Notiz der Ansa, derzufolge Eco die taz-Geschichte als „Karnevalsscherz“ bezeichnet. Tadini arbeitet sie in seinen Artikel ein: „Und wie reagiert Eco Inc.? Eco Inc. läßt über ihren ,Umberto Eco‘ (einen Namen, den man nur in Anführungszeichen zitieren kann) kommentieren: ,Es ist ein Karnevalsscherz, der auf dem Artikel von Tadini in Leggere beruht und auf der Konstruktion meines ,Foucaultschen Pendels‘.“ Der Kommentator ist sprachlos: Dieses instinktive Dementi, spricht es nicht Bände über die wahre Natur des Phänomens Eco?
Der Bonner Korrespondent der Stampa, Emanuele Novazio, macht seine Hausaufgaben und fragt bei dem Kanal Rete4 nach, aus dessen Sendung Schomann seine Informationen erhalten haben will. Der Chef des Senders, Emilio Fede, sagt zu La Stampa nicht ohne Stolz: „Man bezieht sich auf uns, weil wir für glaubwürdig gehalten werden.“ Eine Mitarbeiterin namens Roberta Badano sei ihm jedoch nicht bekannt.
La Reppublica erklärt die Angelegenheit zwar schon in der Überschrift zu einem „Enthüllungs- Streich aus Berlin“, aber in Bologna, heißt es in dem Bericht, seien doch einige Vertraute des Meisters ins Grübeln gekommen. „Ecos Schüler haben einen ganzen Nachmittag über der Frage gebrütet, wer der Autor der falschen Enthüllung sein könnte. Der phantasievollste hat schließlich getippt, daß es der Meister selber sei. Ist Eco etwa nicht der Meister des Paradoxes, der Autor von Essays über die Fälschung? Vor drei Monaten erst hat er seine Kollegen mit offenem Mund zurückgelassen, als er zum Auftakt des akademischen Jahres einen geistreichen Vortrag über die Kraft der Fälschung hielt.“
Wo ein Verdacht ist, sind auch Indizien meist nicht weit. Dem Autor der Reppublica fügt sich nun alles traumwandlerisch: „Übrigens, ist Stefan nicht der Name des Sohnes von Eco, der mit einer Deutschen verheiratet ist? Und klingt der Name Schomann nicht wie das Pseudonym eines show-man?“
Da kann es natürlich nicht beruhigen, daß dieser „Stefan Schomann“ nun nach einem dritten Bericht der Ansa gesagt haben soll, die Sache sei „ein Scherz“. Fast alles an dem Artikel sei erfunden, um die deutsche Literaturkritik, die bekanntlich schwerfällig und langweilig sei, ein wenig aufzumuntern. Der taz-Text sei von Eco inspiriert und eine Hommage an den Meister. Emilio Tadini kommentiert dieses Bekenntnis im Corriere: „Eine seltsame Kehrtwendung, beunruhigend. Aber vielleicht wollte dieser Schomann uns auf verborgene Weise etwas mitteilen mit seinem letzten Satz, der, sicher nicht zufällig, auf jene direkte Verbindung anspielt, die zwischen dem Namen ,Eco‘ und dem Wort ,Fälschung‘ besteht.“ Und La Repubblica zitiert „Schomann“, der seine Eifersucht auf die Produktivität des großen Autors eingesteht: „Eine völlig einleuchtende Erklärung. Aber ist sie wahr?“
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