: Pinkelpause fürs Vieh
EU-Agrarminister standen gestern vor Kompromiß, der Tierschüt- zer beruhigt, ohne Geschäft einzuengen ■ Aus Brüssel Alois Berger
Schlachttiere werden auch weiterhin kreuz und quer durch Europa gekarrt, künftig aber mit Ruhepausen und ein kleines bißchen weniger brutal. In zähen Verhandlungen haben sich die 15 Landwirtschaftsminister der EU in Brüssel an einen Kompromiß herangearbeitet, der das Mitleid mit den Schlachttieren in Regeln gießt, ohne Wesentliches zu verändern.
Sie sind sich einig, daß es Vorschriften für die Zahl der Tiere pro Ladefläche und Mindestnormen für die Ausstattung der Transportfahrzeuge sowie eine Sonderausbildung für die Fahrer geben wird. Doch über die Transportzeiten und die Ruhepausen gehen die Wünsche der Mitgliedsstaaten weit auseinander. Vor allem die Regierung in London, die unter dem Eindruck der mächtigen britischen Tierschutzlobby steht, möchte die Transportzeiten stark begrenzen. Auch Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert drängt auf kürzere Fahr- und längere Ruhezeiten. In Bonn ist es in erster Linie der Druck der Verbraucher, der zum Handeln zwingt. Die Fernsehberichte über die Schinderei der Tiere haben die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Seit sich die negativen Schlagzeilen über Rinderwahn, Schweinepest und die Tierquälerei auf den Autobahnen häufen, essen die Deutschen deutlich weniger Fleisch.
Einige EU-Landwirtschaftsminister halten das Drängen der Briten und der Deutschen allerdings für eine hinterlistige Form des Protektionismus. Wenn Viehtransporte eingeschränkt würden, dann leiden darunter die irischen Rinderzüchter ebenso wie die Schlachtindustrie im Süden von Italien und Spanien. Irland etwa exportiert überdurchschnittlich viel Lebendvieh, während die Bauern in den Mittelmeerregionen schon wegen des trockenen Klimas eher Ackerbau betreiben. Süditalienische und spanische Großschlachthöfe, meist mit EU-Mitteln aufgebaut, um in den strukturschwachen Gebieten Arbeitsplätze zu schaffen, sind deshalb auf Lebendtransporte angewiesen. Je strenger die Auflagen, klagen die Agrarminister, desto teurer die Transporte. Sie verdächtigen Borchert, er wolle den südlichen Schlachthöfen zugunsten der deutschen Fleischfirmen das Geschäft wegnehmen. Für den europäischen Dachverband der Landwirte CPE ist der Viehtourismus klares Indiz für die verfehlte europäische Agrarpolitik. Statt mit Großschlachthöfen die regionale Spezialisierung noch voranzutreiben, sollte die EU den Aufbau von lokalen Schlachthöfen unterstützen. Die Nähe von Bauernhof und Metzgerei komme auch der Fleischqualität zugute und verringere zudem das Risiko der Ausbreitung von Tierkrankheiten wie etwa der Schweinepest.
Der Kompromißvorschlag, auf den sich gestern alle Minister zubewegten, will Tierschützer und Konsumenten beruhigen, ohne den Viehhandel einzuengen. Danach muß bei jedem Transport alle acht Stunden eine zweistündige Pause zum Tränken und Füttern eingehalten werden. Ganz junge Tiere sollen alle 17 Stunden mindestens einen halben Tag Ruhepause bekommen, bevor es weitergeht.
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