: Eine Justizposse mit fatalen Folgen
■ Mit absurdem Aufwand ermittelte der niedersächsische Staatsschutz vier Jahre lang gegen Autonome in Göttingen - und fand nur Bekanntes und Ungefährliches heraus. Trotzdem wurde Anklage erhoben
Eine Justizposse mit fatalen Folgen
Als Behördenleiter muß man sich hin und wieder vor Ort selbst ein Bild machen“, sagt Generalstaatsanwalt Manfred Endler. Und als sich die vierjährigen Ermittlungen der Sonderkommission dem Ende zuneigten, ist er von seinen Dienstort Celle ganz einfach nach Göttingen gefahren, um das verbrecherische Treiben seiner „kriminellen Vereinigung“ höchstpersönlich zu beobachten. Doch um die „AntifaM“, jene angeblich kriminelle Mittwochsgruppe, live zu erleben, mußte der Generalstaatsanwalt damals keineswegs in dunkle Keller hinabsteigen: „Das war in der Innenstadt, vor ein paar Monaten. Ich stand etwa 50 Meter von der Demonstration entfernt und habe mir den schwarzen Block angeschaut.“ Endler muß damals all seinen Mut zusammengenommen haben – er sieht im Göttinger „schwarzen Block“ den „Aufmarsch einer bewaffneten Privatarmee“. Jetzt hat er gegen die „kriminelle Vereinigung“ Anklage erhoben.
Ohne Manfred Endler und Hans-Wilhelm Duvenhorst, den Leiter der Staatsschutzabteilung im niedersächsischen Landeskriminalamt, wäre die Ausforschung der Göttinger Polit-Szene unmöglich gewesen – sie machte auch vor Grünen und Sozialdemokraten nicht halt. Endler (CDU) war früher Pressesprecher im niedersächsischen Justizministerium, wo er prägende Erfahrungen zur Zeit des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen in Celle gemacht hat. „Da war immer die Gefahr, daß alles eskaliert“, sagt er noch heute.
Hans-Wilhelm Duvenhorst gilt selbst im niedersächsischen Innenministerium „als ein Mann mit einem klaren Feindbild“. Für den Leiter der Staatsschutzabteilung seien „Autonome von vornherein Verbrecher“, heißt es inoffiziell in der Pressestelle von Innenminister Glogowski, der die Göttinger Ermittlungen keineswegs wollte.
„Wir haben aufgeklärt, was wir aufklären konnten“, so sagt es, ganz der Handwerker der Inneren Sicherheit, Hans-Wilhelm Duvenhorst, „das betraf alles, was so zur Szene gehört.“ Eingerichtet wurde die Sonderkommission 606 des LKA nach mehreren Anschlägen im Raum Göttingen mit Sachschaden, die schon über fünf Jahre zurückliegen. Daran erinnert sich Duvenhorst kaum noch: „Oh Gott, der ursprüngliche Ermittlungsauftrag der Kommission. Das weiß jetzt gar nicht mehr so genau“, sagt er und meint dann, bei den Anschlägen habe es wohl auch eine Täterbekennung gegeben. Die war mit „wir“ unterzeichnet, und „das deutete darauf hin, daß da eine Gruppe dahintersteckt“.
Das von Duvenhorst zitierte Bekennerschreiben war damals von nicht weiter bekannten autonomen „Göttinger AntifaschistInnen“ unterzeichnet. Da sich die Ermittler wohl nur eine Sorte Autonomer vorstellen konnten, konzentrierten sie sich nunmehr auf jene Gruppe „autonomer AntifaschistInnen“ – klingt ja fast gleich, der Name –, die sich mittwochs im Göttinger Grünen Zentrum traf und über ein Bündnis mit dem bürgerlichen Lager gegen Rechts diskutierte.
Seit dem 9. Oktober 1991 wurden von der Soko vermeintliche Mitglieder der „AntifaM“ observiert, zum Teil rund um die Uhr. Der Aufwand war beträchtlich.
Jeden Mittwoch, wenn die „M“ sich traf, lag das LKA gegenüber dem Vereinslokal der Grünen auf der Lauer. Auf Video wurde registriert, wer dort ein und aus ging. Akribisch notierte man die Größen von Paketen, die ins Grüne Zentrum geschickt wurden. In einem Spezialauftrag vermaßen Beamte die Größe der Teeküche der Zentrums. Fein säuberlich wurden die Namen von Klingelschildern abgeschrieben. In neun Monaten wurden 13.929 Telefonate mitgeschnitten und ausgewertet. Später folgte eine große Durchsuchungsaktion in den Wohnungen von 15 vermeintlichen Mitgliedern der „AntifaM“ und den Räumen des Göttinger Asta.
Dabei stellte man fest, daß die Mittwochsgruppe, die immer legal gearbeitet hatte, eine ordentliche Organisation war, ein Protokollbuch führte, die Manuskripte all ihrer Flugblätter und Broschüren auf Diskette speicherte.
Reihenweise schickte die Soko außerdem Plakate zum Bundeskriminalamt, um sie auf einen Verstoß gegen den Paragraphen 129a, auf Werbung für die RAF hin überprüfen zu lassen. In der Anklage gegen die „AntifaM“ ist jetzt ein einziges davon übriggeblieben. Es soll für die RAF werben – ein kundiger Betrachter könnte darauf den zerbombten Knast von Weiterstadt wiedererkennen.
Für die Sonderkommission wurden nach Angaben von Duvenhorst zunächst „vier Beamte auf Dauer aus dem normalen Organisationsaufbau herausgezogen“. Allein diese vier Polizisten waren demnach 16 Mannjahre im Gegenwert von einer Million Mark mit der Göttinger Szene befaßt. Wenn allerdings „in Göttingen was los war“, etwa eine Demo gegen Rechts, dann hatte Duvenhorst dort auch schon mal „20 Leute oder mehr“ im Einsatz. Insgesamt dürfte die Arbeit der Soko den niedersächsischen Steuerzahler mehrere Millionen Mark gekostet haben.
Aber die Anschläge konnte sie nicht aufklären – mit ein paar Ausnahmen, die alle auf das Kono eines Psychiatriepatienten gingen.
Statt dessen hat Hans Wilhelm Duvenhorst schließlich „alles, was wir aus der Szene hatten“, der Generalstaatsanwaltschaft weitergegeben. „Daraus sind dann ganz verschiedene Verfahren entstanden“, meint er.
Und weil man nun bei der Generalstaatsanwaltschaft Celle alle Mitglieder der „AntifaM“ mit Namen kennt, müssen sie die Folgen dieser Justizposse ausbaden.
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