: Verunsicherung, Scham, Nachteile
■ Studie der Frauenbeauftragten der FU zeigt Folgen von sexueller Belästigung durch Dozenten auf
Zur Besprechung ihrer Diplomarbeit trifft sich Andrea*, Studentin an der Freien Universität, mit dem zuständigen Professor. Im Verlauf des Gesprächs steckt der Professor die Hand in seine Hose und läßt sie dort, in unmißverständlicher Pose, längere Zeit liegen. Andrea fühlt sich „wie gelähmt“ und versucht, das Verhalten des Dozenten zu ignorieren. Ihre Konsequenz aus dem Vorfall: Sie sucht sich einen neuen Betreuer für die Diplomarbeit. Der Fall stammt aus der Studie „Sexuell belästigt. Studentinnen berichten über ihre Erfahrungen mit Dozenten“, die jetzt im Auftrag der Frauenbeauftragten der Freien Universität veröffentlicht wurde.
Ausgangspunkt der Untersuchung war eine Studie aus dem Jahr 1993, in der die Häufigkeit von sexuellen Übergriffen repräsentativ erforscht werden sollte. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß jede zweite Frau an der Universität sexuell belästigt werde. KritikerInnen wie die Politologin Sabine Berghahn warfen den Autorinnen mangelnde Wissenschaftlichkeit vor. Der Umgang mit Zahlen sei unsauber; die Fragestellung sei zu ungenau gewesen und habe den Kontext der jeweiligen Situationen nicht berücksichtigt, so Berghahn. „Da die Abgabe des Fragebogens freiwillig war, können keine exakten Angaben zur Häufigkeit gemacht werden“, räumt nun auch die Sozialwissenschaftlerin Kristine Dreyer, die an der zweiten Studie mitarbeitete, ein.
Die Folgeuntersuchung wertet Frauenbeauftragte Christine Färber als Beitrag zur Versachlichung der Diskussion. „Wir wollten zeigen, daß sexuelle Belästigung, ob es nun 30 oder 50 Prozent betrifft, für die Betroffenen gravierende Folgen hat und deshalb thematisiert werden muß“, so Färber.
Zehn Frauen, die bereits den Fragebogen für die erste Studie ausgefüllt hatten, erklärten sich zu einem Tiefeninterview mit Dreyer bereit. Es sei sehr schwierig gewesen, überhaupt Frauen zu finden, die an der Untersuchung teilnehmen wollten, so Dreyer. Viele Frauen wollten die Erlebnisse verdrängen und deshalb nicht darüber sprechen. Ähnliche Erfahrungen machte auch der Frauenrat am Otto-Suhr-Institut. Da die betroffenen Frauen in den meisten Fällen anonym bleiben wollten, sei eine Dokumentation häufig nicht möglich. „Gerade das genaue Aufzeigen von Einzelfällen wäre aber sehr sinnvoll, um der Öffentlichkeit klarzumachen, was an der Universität passiert“, meint Sabine Berghahn.
Gegenstand der Interviews waren die persönlichen und beruflichen Konsequenzen, die sexuelle Belästigung für Studentinnen nach sich zieht. Das Ergebnis: Neben Gefühlen wie Verunsicherung, Scham und dem Verlust von Selbstwertgefühl führt sexuelle Belästigung an der Universität auch zu beruflichen Nachteilen für die Studentinnen. Lehrveranstaltungen bei dem Belästiger werden nicht mehr besucht, auch wenn es für die betroffene Frau keine gleichwertige Alternative gibt. Handelt es sich um Belästigungen durch den Betreuer einer Diplom- oder Magisterarbeit, wechselten Frauen den Prüfer, was zum Teil die Einarbeitung in einen völlig neuen Themenbereich mit sich brachte. In einigen Fällen kam es sogar zu einem Wechsel der Universität. „Eine Frau hat ihr Studium vorzeitig abgebrochen“, so Claudia Toelle, studentische Mitarbeiterin der Studie.
Mit der Befragung wollten die Verfasserinnen das Thema „Sexuelle Belästigung an der Universität“ erneut ins Bewußtsein rufen. Reaktionen der Universitätsleitung auf die Veröffentlichung gab es bis jetzt nicht, so Färber. „Auch die Forderung, eine Ethikkommission einzurichten, in der über Verhalten, nicht über Strafe diskutiert wird, ist bis jetzt auf wenig Resonanz gestoßen“, so Färber. „Der Präsident der FU ist nun mal Jurist, dem ist eine solche Kommission zu unkonkret“, kommentiert Färber die zögerliche Haltung.
Neben einer Ethikkommission fordern die Verfasserinnen der Studie Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse, damit die Frauen sich besser gegen Übergriffe wehren können. „Außerdem soll sexuelle Belästigung endlich als Dienstvergehen in die Hochschuldienstordnung aufgenommen werden“, fordert Dreyer. Gesa Schulz
* Name geändert
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