: Windeln, Fakes und Briefmarken
„Metrobeat“, die „Leistungsschau“ der Berliner Musikszene, geht in ihr drittes Jahr ■ Von Thomas Winkler
Gerade hat man dem Kleinen die Windeln abgenommen. Er hat sich auf den Topf gesetzt, und die Sache hat besser funktioniert als erwartet. Das kritische Alter, das sein Cousin nicht überlebte, hat er zwar noch vor sich, aber im Moment ist er noch so süß, daß das keinen stören mag. „Metrobeat“ heißt er, heute und morgen feiert er seinen dritten Geburtstag. Lokale Kulturfunktionäre nennen ihn gerne „Leistungsschau“ der Berliner Musikszene, und da liegt sein großer Vorteil gegenüber seinem verblichenen Verwandten. Der trug den unvorteilhaften Namen „Rock News“, war allgemein aber nur als „Senatsrockwettbewerb“ bekannt und hatte deshalb den unschätzbaren Nachteil, daß nur Projekte ohne Plattenverträge, mithin Amateure sich an ihm beteiligen durften. Das funktionierte zu Zeiten der Neuen deutschen Welle und etwas später noch ganz gut, manche Siegernamen wie Jingo de Lunch oder Rainbirds sagen einem sogar heute noch etwas. Aber als das Kindchen die Pupertät erreichte, mochte es das Publikum gar nicht mehr leiden und ließ die Bands allein auf der Bühne. Im zarten Alter von 12 Jahren ließ man „Rock News“ entschlafen und adoptierte hurtig „Metrobeat“, weil die Stadt eine „öffentliche Präsentations-Plattform mit Außenwirkung“ benötige, wie Kultursenator Roloff- Momin 1992 befand.
Von der Absicht, die Berliner Musikanten zu fördern, war damals schon nicht mehr die Rede. Und sicher lag der Senat richtig, als er glaubte, man könne unbekannte Gruppen besser durch infrastrukturelle Maßnahmen fördern. Der Wettbewerb kostete jährlich ungefähr 100.000 Mark, für „Metrobeat“ übernimmt der Senat nur mehr eine Ausfallbürgschaft, die im Beamtendeutsch „Fehlbedarfsfinanzierung“ geheißen werden muß. Organisiert wird das Ereignis, das auf drei Bühnen des Franz- Clubs und der Kulturbrauerei im Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg stattfindet, von Musikerinitiativen, die auch die Newcomer- Bands erwählen. Der Großteil der Bands aber wird durch eine Umfrage ermittelt, für die jede eingesandte Postkarte gewertet wird. Zwar werden die Stimmen einer Vorauswahl durch Journalisten, Clubbetreiber und Plattenverkäufer mit denen des Publikums multipliziert, aber Manipulation und konzentrierten Fanaktionen sind Tür und Tor geöffnet. So finden sich bekannte Gruppen wie Die Ärzte oder Lucilectric nicht unter den ersten 20 des Polls.
Aufgrund der besucherfreundlichen Eintrittspreise und der Qualität der Bands war „Metrobeat“ in den beiden ersten Jahren ausverkauft, der Senat mußte jeweils nur um die 50.000 Mark zuschießen. Ungefähr die selbe Summe wurde also wieder frei für andere Zwecke. Aber so oder so fehlt Geld. Für die Förderung sogenannter „U-Musik“ steht schon seit Jahren gerade mal eine gute Million Mark zur Verfügung – allein die Deutsche Oper verschlingt gut das Achtzigfache dieser Summe an Steuergeldern. Und für 50.000 Mark kann man nicht allzu viele Keller zu Übungsräumen ausbauen, Clubs unter die Arme greifen oder Tourneen fördern.
Auch die vom Kultursenator erhoffte Leistungsschau hat ihre Lücken. Zum einen ist das Wahlergebnis nicht repräsentativ, zum anderen will oder kann manche gewählte Band nicht auftreten: Die Inchtabokatables sind gerade auf Frankreich-Tour; Element of Crime wurden zum zweiten Mal gewählt und lassen sich zum zweiten Mal entschuldigen. Das Programm kann sich trotzdem sehen lassen, spielen doch mit 18th Dye, Gum oder den Space Hobos Kapellen, die bei einem Auftritt in Eigenregie leicht mehr als die 150 Mark Gage pro Gruppenmitglied (allerdings maximal 1.000 Mark) bekommen könnten. „Geldmäßig ist das völlig uninteressant“, meint denn auch Sebastian Büttrich von 18th Dye, aber „ich finde an der Veranstaltung grundsätzlich nichts verkehrt. Die Wahl ist allerdings ein Fake. Mit minimalem Briefmarkenaufwand kriegst du jede Band rein, die du willst.“
Die Newcomer bekommen gar nur 200 Mark pro Band (plus fünf Tage in einem senatseigenen Studio), da geht die Gage nicht einmal mehr als „Aufwandsentschädigung“ durch. Allein über die „schöne Werbegelegenheit“ freut sich Volker Buhrmeister von Britannia Theatre und hat Verantwortliche aus dem Musikgeschäft zum Auftritt eingeladen, mit denen man sich eine zukünftige Zusammenarbeit erhofft.
Und wie steht es mit der von Roloff-Momin so erhofften „Außenwirkung“? Das Berliner Stadtmagazin zitty vermißt eine gezielte Vermarktung, aber dem widerspricht Simone Hoffmann, die „Metrobeat“ organisiert, vehement: „Ich habe sämtliche deutschen Verlage und Labels angeschrieben. Einige haben sich auch angemeldet.“ So Verantwortliche der „EuroPop-Days“ in Freiburg, jener in diesem Mai zum ersten Mal stattfindenden Musikmesse, die den vakanten Platz der verblichenen „Berlin Independence Days“ übernehmen und die Sparten besetzen möchte, die die ungleich größere „PopKomm“ in Köln längst nicht mehr bedienen kann. Bei den „EuroPop-Days“ soll ein ganzer Abend mit bis zu fünf Berliner Bands gefüllt werden, weswegen die Freiburger vor Ort erst mal den hauptstädtischen Fundus sichten möchten.
In Zeiten leerer Kassen kam die zitty prompt mit dem Vorschlag, „Metrobeat“ ganz auf „private Füße“ zu stellen. Das macht erst mal Sinn, wenn man bedenkt, daß der Senat nur mehr mit seiner „Fehlbedarfsfinanzierung“ involviert ist. Aber um ohne die auszukommen, bräuchte man Sponsoren, und da sieht Hoffmann Probleme auf sich zukommen: „Was ist, wenn eine von 24 Bands sagt, den Sponsor will ich nicht?“ Oder man erhöht die Eintrittspreise. Weniger als 30 Mark für beide Tage wäre zwar immer noch Dumping, aber niemand kann garantieren, daß die Veranstaltung dann weiter ausverkauft wäre. Uwe Sandhopp, Mitarbeiter im Kultursenat, ist denn auch der Meinung, „es sollten sich möglichst viele Leute den Eintritt leisten können“. Überhaupt ist der Senat als Initiator und Notgeldgeber der Veranstaltung bisher mehr als glücklich, denn die Zuschüsse „waren niedriger, als wir ursprünglich kalkuliert hatten“.
Der Kleine wird also weiter die Flasche bekommen, und Kinderkrankheiten lassen sich nun mal nicht vermeiden. Mal sehen, wie er sich in den nächsten Jahren entwickelt.
Am 24.2. D Base 5, Gunjah, Gum, Das Holz, Mr. Ed Jumps The Gun, Rosenstolz, Space Hobos, Westway. Am 25.2. Britannia Theatre, Infamis, Pesos, Kampanella Is Dead, 18th Dye, Apparatschik, Gom Jabbar, Groovy Cellar, P.O.F., Terrorgruppe, Testers, Trout, Bindemittel, Skim, Steady State Theory. Jeweils ab 20 Uhr in Franz-Club und Kulturbrauerei, Knaackstr.97, Ecke Dimitroffstraße.
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