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Algerische Apokalypse

Brutale Niederschlagung einer Gefängnisrevolte in Algier zum Abschluß eines blutigen Ramadan  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Waren es nun „einige“ Tote, wie das algerische Justizministerium erklärte, waren es „fast 90“, wie es gestern die Tageszeitung El Watan schrieb, waren es „annähernd 100“, wie „diplomatische Kreise“ mitteilten, waren es 200, wie der US-Vertreter der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS), Anwar Haddam, behauptete? In jedem Falle ist es am Mittwoch im Serkadji-Gefängnis von Algier zu einem Gemetzel gekommen, dessen Ausmaß gestern nur allmählich deutlich wurde. Viele der prominenteren islamistischen Gefangenen, die zum Teil seit 1992 ohne Gerichtsurteil einsitzen, sind offenbar tot: FIS-Führungsmitglied Ikhlaf Cherati, zwei Führer der „Bewaffneten Islamischen Gruppe“ (GIA), außerdem Lembarek Boumaraafi, der 1992 unter dubiosen Umständen wegen der Ermordung des damaligen algerischen Präsidenten Mohammed Boudiaf verurteilt worden war. Der prominenteste Häftling, FIS- Vorsitzender Abdelkader Hachani, versuchte, zwischen den revoltierenden Häftlingen und den Sturmeinheiten der Sicherheitskräfte zu vermitteln. Vergeblich.

„Um ein Blutbad zu vermeiden“, behauptete Justizminister Mohammed Teguia, seien die Sicherheitskräfte nicht sofort bei Ausbruch des Gefangenenaufstandes am Dienstag abend in die Anstalt auf den Ruinen des türkischen Forts über der Kasbah von Algier eingerückt. Bis zu 1.600 Menschen sind dort inhaftiert; mit ihrer Revolte, mit dem Aufstand wollten die Islamisten wohl eine Massenflucht herbeiführen. Das Blutbad geschah schließlich am Mittwoch im Morgengrauen: Vor dem Gefängnisgebäude ausharrende Angehörige hörten von drinnen Schreie und den Lärm von Schnellfeuerwaffen, während vor dem Hauptportal ein Panzer die Stellung hielt. Die Meuterer hätten es abgelehnt, in ihre Zellen zurückzukehren, begründete Teguia die Operation und führte aus, vier Wärtern sei „auf grausame Weise“ die „Kehle durchgeschnitten“ worden. FIS-Vertreter Haddam sprach demgegenüber von „systematischen Erschießungen“.

Wöchentlich sterben 1.000 Menschen

Es war ein blutiger Abschluß des islamischen Fastenmonats Ramadan, der nächste Woche zu Ende geht. Eingeleitet wurde er Ende Januar mit einem Autobombenanschlag gegenüber dem Polizeipräsidium im Zentrum der Hauptstadt, der über 40 Opfer forderte. Seither sind nach Schätzung des Oppositionspolitikers Hocine Ait Ahmed von der „Front der Sozialistischen Kräfte“ (FFS) im Bürgerkrieg zwischen Militär und islamistischem Untergrund wöchentlich 1.000 Menschen gestorben – eine Zahl, die zuletzt bei einer Großoffensive der Armee im vergangenen November erreicht wurde.

Die Gesamtzahl der Toten des mittlerweile drei Jahre alten Bürgerkrieges ist damit wohl auf fast 40.000 gestiegen. Algerien gleicht einer schwärenden Wunde im Herzen Nordafrikas. Die politische Lage scheint hoffnungslos verhärtet: Ohne Wirkung blieb der Versuch der algerischen Parteien, einen friedlichen Dialog in Gang zu bringen, wie sie ihn auf einem Treffen unter Beteiligung der FIS in Rom am 13. Januar vorschlugen. Das Militärregime plant statt dessen ungerührt eine Präsidentschaftswahl für den kommenden Sommer. „Einseitig“ organisierte Wahlen seien unmöglich, erklärten wiederum die Parteien am 12. Februar auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Algier. Zugleich wuchs die Sorge um das Schicksal der beiden inhaftierten FIS-Führer Abassi Madani und Ali Belhadj; letzterer soll sich mittlerweile in einem Gefangenenlager in der Wüste im südalgerischen Tamanrasset befinden.

Beobachter klammern sich an die vage Hoffnung, daß die Präsidentschaftswahl doch noch zu einer Annäherung führen könnte: Präsident Lamine Zeroual ist bestrebt, seine Wahlen durch die Beteiligung einiger Gegenkandidaten zu legitimieren. Demgegenüber wollen die politischen Parteien der Kritik der algerischen Regierung an ihrem Treffen in Rom als angebliche „ausländische Einmischung“ den Wind aus den Segeln nehmen und überlegen daher, in Algerien eine Neuauflage des Treffens zu veranstalten. Das wäre ein Schritt in Richtung Öffnung.

Angesichts des Bürgerkrieges erscheinen solche Manöver grotesk. Aber gibt es eine Alternative? „Es gibt keine militärische Lösung in Algerien“, schrieb im Januar Frankreichs Verteidigungsminister François Leotard; „es gibt nur eine politische Lösung auf der Grundlage der nationalen Versöhnung und der Demokratie.“ Es war ein erstes Zeichen, daß der durch die spektakuläre Flugzeugentführung von Weihnachten ausgelöste Schock doch zu einer Bewegung in der regimefreundlichen Algerienpolitik Frankreichs führen könnte. Und ohne eine solche Bewegung, da sind sich alle Beobachter einig, wird es keinen Impetus für eine Befriedung Algeriens geben.

Aber als der französische Präsident François Mitterrand am 3. Februar eine internationale Algerien-Konferenz vorschlug, handelte er sich wütenden Ärger aus Algier ein. Die Nato beschloß am 8. Februar, künftig „verstärkt“ mit den Staaten des Maghreb zu Sicherheitsfragen zusammenzuarbeiten, während die EU-Kommission vorgeschlagen hat, ein Hilfsbudget von 5,5 Milliarden Ecu für die südlichen Mittelmeeranrainer einzurichten. Noch gibt es kein internationales Konzept, sondern lediglich die Angst, daß – wie Ait Ahmed sagt – „alle Berge des Maghreb in Flammen aufgehen“.

Ganz metaphorisch ist diese Sorge nicht. Im algerischen Osten nahe der Grenze zu Tunesien wird die Guerilla mit einer Politik der verbrannten Erde ausgeräuchert, und ganz lapidar lobt die Korrespondentin der französischen Zeitung Le Monde, daß sich aufgrund der „Wachsamkeit“ der tunesischen Sicherheitskräfte „die Waldbrände, die in Algerien oft durch Napalmeinsatz gegen Buschkämpfer ausbrechen, nicht übermäßig auf tunesisches Territorium ausgebreitet haben“. Tunesien scheint ohnehin bei der Eindämmung des algerischen Bürgerkriegs eine Vorreiterrolle zu spielen. Der in London exilierte tunesische Islamistenführer Rachid Ghannouchi beschuldigt Tunis, „Antiterror- Spezialisten“ nach Algier entsandt zu haben. Am 22. Januar fand in Tunesien ein maghrebinisch-südeuropäischer Gipfel zur Bekämpfung von „Terrorismus und Fundamentalismus“ statt.

Das Ziel: Wenn man schon Algerien nicht befrieden kann, soll der Krieg wenigstens nicht die Grenzen überqueren. Aber das Gegenteil ist zuweilen die Folge. Am 11. Februar tötete ein algerisches Kommando am tunesischen Grenzort Sendes sieben Nationalgardisten. Von amtlicher Seite hieß es, die Grenzwächter seien gestorben, als ihr Wagen wegen überhöhter Geschwindigkeit in einen Graben fiel. Zugleich wurden aber die Sicherheitskontrollen in Tunis drastisch verschärft.

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