: Alarmstimmung bei der Nato
Generalsekretär Willy Claes steckt tiefer im belgischen Korruptionssumpf als er bisher zugegeben hatte / Die Agusta-Affäre kommt nur scheibchenweise an die Öffentlichkeit ■ Aus Brüssel Alois Berger
Hinter den fest verschlossenen Türen der Nato herrscht gedämpfter Aufruhr. Gestern sickerte durch, daß eine Reihe hoher Offiziere sauer ist, weil sie von Nato- Generalsekretär Willy Claes belogen worden sind. Claes stecke offensichtlich tiefer im belgischen Korruptionssumpf, als er bisher zugegeben hat. Man bereite sich schon mal auf den Fall der Fälle vor, daß Claes zurücktritt und sein Stellvertreter Silvio Balanzino die Geschäfte übernimmt.
Claes hatte vorgestern abend eine fünfjährige Erinnerungslücke geschlossen. Er sei 1989 darüber informiert worden, räumte er in einem Fernsehinterview überraschend ein, daß die italienische Rüstungsfirma Agusta seine Partei bestechen wollte. Noch am Mittag hatte Claes in einem Fax an Botschaften und Journalisten das Gegenteil beteuert.
Auslöser des Erinnerungsschubes war eine Erklärung des belgischen Außenministers Frank Vandenbroucke, nach der das Thema bei einem Mittagessen im Büro des damaligen Wirtschaftsministers Willy Claes besprochen worden sei. Alle Beteiligten sind Mitglieder der flämischen Sozialistischen Partei, die 1989 von der italienischen Firma Agusta eine Spende über rund 2,5 Millionen Mark bekommen hat. Kurz zuvor hatten einige sozialistische Minister sich in der Regierung erfolgreich dafür eingesetzt, daß 46 Militärhubschrauber trotz besserer Angebote aus Deutschland und Frankreich bei Agusta bestellt wurden.
Vandenbroucke sagte, bei dem Treffen bei Claes habe der Schatzmeister der Partei von dem Spendenangebot aus Italien erzählt, aber alle, auch Claes, hätten das unsaubere Angebot empört zurückgewiesen. Wenige Stunden später erinnerte sich auch Claes an das Treffen, versicherte aber, daß er danach nie wieder etwas von der Geschichte gehört habe. Sicher ist inzwischen – ob mit oder ohne Wissen von Claes –, daß die Sozialistische Partei das Geld angenommen und der parteinahen Zeitung De Morgen zugesteckt hat, die sonst vermutlich eingegangen wäre. Der Wettbewerbskommissar Karel Van Miert, der damals Vorsitzender der flämischen Sozialisten war, blieb gestern nachmittag bei seiner Beteuerung, von der Affäre nie etwas erfahren zu haben.
Wie bei politischen Skandalen üblich, kommt auch die Agusta- Affäre nur scheibchenweise an die Öffentlichkeit. Bereits vor 13 Monaten mußten drei wallonische Sozialisten von ihren Ministerämtern zurücktreten, weil die Staatsanwaltschaft herausgefunden hatte, daß ihre Partei von Agusta mit dem vergleichsweise bescheidenen Betrag von 700.000 Mark geschmiert worden war. Am Wochenende wurden dann zwei flämische Politiker verhaftet. Einer legte ein Geständnis ab, bei dem aber weder Claes noch Van Miert belastet wurden. Bei der Nato stellen sich trotzdem einige die besorgte Frage, warum Claes den Bestechungsversuch von Agusta erst öffentlich gemacht habe, als es nicht mehr zu vermeiden war.
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