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„Verlogenheit, die kein Mensch aushält“

■ GAL lud zur Gesamtschul-Debatte / Geballter Frust und Zuversicht Von Kaija Kutter

Ist es eine Modedebatte, die aus Nordrhein-Westfalen nach Hamburg überschwappt, gestützt durch erstmals zurückgehende Anmeldezahlen, die von interessierter Seite vorzeitig publiziert wurden? Moderator Kurt Edler wies dies von sich. Nein, die GAL habe schon viel länger geplant, im Rahmen ihres „Schulpolitischen Forums“ die „Gesamtschule auf den Prüfstand“ zu heben.

Die Prüfung vor rund 100 Zuhörern am Donnerstag abend im Curio-Haus geriet zu einem kunterbunten Schlagabtausch. Doch die Veranstalter können sich loben, erstmals auch Gesamtschulbefürworter öffentlich zur kritischen Aussprache über die 25 Jahre alte Schulform gebracht zu haben.

Enttäuschte Liebe bei den Kritikern aus NRW?

Ginge es nach dem Verfasser eines Thesenpapiers aus NRW, das inzwischen 300 Gesamtschullehrer – aus Angst vor Repression anonym – unterzeichnet haben, so sollte es künftig gar keine Gesamtschule mehr geben, weil das gegliederte Schulwesen das „kleinere Übel“ sei. Die Kritik richtet sich im Kern gegen die ab Klasse 7 einsetzende Differenzierung der Schüler nach Fächern und Leistung, die Hauptursache für Störungen im Lern- und Sozialverhalten der Schüler sein soll.

Für ihn habe die Reaktion aus NRW etwas von „enttäuschter Liebe“, eröffnete der Schulleiter Gerhard Lein die Diskussion. Er glaube, daß die Gesamtschule nach wie vor „in jeder Hinsicht die bessere Schule“ sei, auch wenn es sinnvoll sei „Gesamtschule neu zu denken“.

Heftig Contra – unterstützt von ihrem Kollegen Hans Dall – gab die Stellinger Gesamtschullehrerin Siegrid Ring: Man könne die Gesamtschule nicht als integriertes System bezeichnen, weil sie von bestimmten Schüler- und Elternkreisen nicht ausgewählt würde. Sprich: Es mangele an jenen Kindern, die eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen. Im Idealfall macht diese Schülergruppe ein Drittel aus. In Stellingen sind es laut Hans Dall weniger als zehn Prozent. In Folge, so die beiden, würde das Niveau „nach unten nivelliert“ und leistungsstärkere Kinder vereinzeln. Folge für die Schule: es komme vor, so ein Stellinger Vater, daß Gesamtschullehrer empfehlen, Kinder ans Gymnasium zu geben.

Noch drastischer die Beschreibung einer Lehrerin aus Steilshoop. Die dortige Gesamtschule würde von einer „Mehrheit im Stadtteil“ abgelehnt, sagte die Pädagogin, die Schülerzahl gehe dramatisch zurück (siehe Kasten). So würden obere Kurse gebildet, „die mit dem Gymnasium nicht vergleichbar sind, nur um diese Kurse zu bilden“. Gravierend sei auch, daß Lift- und Stützkurse aus früheren Tagen gestrichen wurden. „Das Ganze grenzt an eine Verlogenheit, das hält kein Mensch mehr aus“.

Dem geballten Frust setzen die beiden Gesamtschul-Leiter auf dem Podium Zuversicht entgegen. Sie teile nicht die Meinung, daß Gesamtschulen Teile der Schüler nicht bekommen, sagte die Jahnschul-Direktorin Christa Hinz. Nach einer Phase des Aufbaus habe sich die Gesamtschule stabilisiert. Zumindest für den Südosten spiele die Abwanderung an Gymnasien keine Rolle, sagte Gerhard Lein. Im Gegenteil: Seine Lohbrügger Gesamtschule nehme jedes Jahr 20 bis 30 Gymnasialschüler auf.

Positive Schul-Erfahrungen aus der Grundschule enden jäh

Hinz warnte auch vor einer Glorifizierung des Lernens im festen Klassenverband. Für viele Schüler habe es Nachteile, wenn sie immer in der gleichen Lerngruppe in der gleichen Rolle seien. „Mein Sohn war froh, als er endlich in die differenzierten Fachkurse kam“, ergänzte ein Vater aus dem Publikum.

Doch gerade von Elternseite wurden ganz andere Enttäuschungen artikuliert. Sein Sohn habe an der Grundschule vier Jahre lang offenen Unterricht und „sehr, sehr gutes Lernen“ erlebt, sagte ein Vater. An der Gesamtschule müsse er 45 Minuten stillsitzen und schweigen. „Warum können positive Modelle von der Grundschule nicht durchwachsen“, fragte ein anderer. Immerhin sei dies die Schulform, die, trotz schlechter Bedingungen, die Pädagogik am stärksten verändert hat. Eine Grundschullehrerin wußte gar von ihren ehemaligen Schützlingen zu berichten, daß deren Fähigkeiten des selbstorganisierten Lernens an der Gesamtschule gar nicht gefragt waren: „Die sagten, sie würden dort zurückgeschraubt“.

Fazit des Abends: man will weiterreden, und: Tatsächliche Schülerbiografien müßten erforscht werden. Lein: „Ich glaube, Gesamtschule braucht keine Angst vor Zahlen zu haben“. Und: die Thesen aus NRW bieten auch in Hamburg Stoff für Diskussion. Nur muß dies nicht heimlich sein.

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