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„Wir waren in der Fremde“

Nach dem Play-off-Aus weigert sich der Augsburger EV, über falsche Konzepte und unrealistische Ansprüche nachzudenken  ■ Aus Augsburg Markus Götting

Zum saisonalen Abschied aus Augsburg haben sie sich noch mal richtig abgewatscht: Spieler die Spieler, Spieler die Zuschauer, Zuschauer die Zuschauer. Und als das rustikale Rudelboxen erst schwungvoll wurde, fuhr Hans- Ulrich Urban, ein Mann von stattlicher Leibesfülle, seine Gerade trefflich aus. Urban ist Präsident des Krefelder Eishockey-Vereins (KEV) und als echter Rheinländer vermutlich Zeuge so mancher Schützenzeltkeilerei gewesen; weshalb er sich kaum erklären konnte, daß ein zu Boden gegangener Augsburger Fan ihn polizeilich der Körperverletzung beschuldigte. Die Gastgeber seien frustriert gewesen, glaubt Urban, „nach den beiden dramatischen Spielen waren die Emotionen aufgeladen“.

Können solche Streithähne überhaupt wieder Freunde werden? Sie können. Schon vor Beginn der vierten Partie hatten sich die Fans schluchzend-schöne Verbrüderungsszenen geliefert. Nachdem nun KEV-Stürmer François Sills am Freitag abend die Gummischeibe zum finalen Torschuß (5:2) ins Augsburger Tor und mithin die AEV-Panther aus dem Play-off der DEL gekehrt hat, tragen die Bavaria-Schwaben Wehmut im Herzen, und entschwunden ist jene vage Hoffnung auf Hilfe durch einen Eishockey-Gott – rachehalber wegen der kreuzunglücklichen AEV-Niederlagen im heimischen Oval. Kein Klagen, kein Jammern mehr wie noch am Dienstag, als man mit dem Schiedsrichter haderte; weder Haareraufen noch Magengeschwüre – fügsam und schicksalsergeben nahmen Schlittschuhpersonal, Funktionäre und Fans das im Grunde erwartete Ausscheiden hin.

Was hätten sie auch machen sollen? Sitzstreik vor dem VIP- Raum? Den eigenen Präsidenten entführen und Neuverpflichtungen statt Lösegeld verlangen? Das hätten die AEV-Anhänger mal machen sollen – zu Saisonbeginn. Vermutlich wäre in der Bilanz mehr als der 13. Rang registriert worden. Aber nix war. Zwischen gnadenloser Selbstüberschätzung und jahrelang praktizierter Sieggewohntheit mußten die Puckjäger „erst mal verkraften, fünf Spiele hintereinander zu verlieren“, wie Übungsleiter Gunnar Leidborg sagte. Jener hatte seit seinem Dienstantritt vor dreieinhalb Jahren zwar ein überragendes Zweitliga-Team aufgebaut, nicht aber die Chance erhalten, eine mittelfristig konkurrenzfähige Mannschaft für Deutschlands Eliteliga zusammenzustellen. Während die Konkurrenz mittels erprobter Routiniers kurzfristig die Weisheit auf Kufen kaufte, gab die Augsburger Vereinsführung getreu dem regionalen Sparsamkeitsdogma dem altverdienten Personal eine Bewährungschance, verkannte indes die veränderten Ansprüche. Leidborg, der nicht immer mit der Einkaufspolitik einverstanden war, hatte seine Anvertrauten sogar bei einem Treffen mit den Fanclubs entschuldigt, und gegenüber der Presse metapherte er: „Wenn du nach Hause in ein dunkles Zimmer kommst, hast du keine Angst – wir aber waren in der Fremde.“

So ein Realitätskick mag furchtbar labyrinthisch sein – jedenfalls hat sich der AEV tatsächlich verirrt. Da half auch das Weihnachtsgeschenk nicht mehr: die beiden aus der Konkursmasse der Münchner Maddogs verpflichteten Stürmer Christian Brittig und Harald Birk, die in 17 Spielen jeweils sechsmal trafen. Konsequenz: Leidborg hat, nicht zuletzt aufgrund überdrehter Erwartungen (es wurde ernsthaft von Platz acht gesprochen), sein Angestelltenverhältnis eingebüßt. Der Vertrag wird, wie es branchenüblich heißt, „im beiderseitigen Einvernehmen“ nicht verlängert. Ein ganz normaler Prozeß sei dies, glaubt der Schwede und sagt in Anspielung auf seine vergleichsweise dauerhafte Stellung: „Ich bin eben der Otto Rehhagel Augsburgs.“ Einzig mit dem delikaten Unterschied, daß er nicht höchstselbst sein Engagement beendete, sondern erst über Dritte davon erfuhr.

Und weil die Abschiedsatmosphäre so richtig elegisch stimmte, hat Mannschaftskapitän Dieter Medicus, der es in seiner 20jährigen Karriere auf mehr als hundert Länderspiele brachte, noch einmal nachgelegt. Im April wird er 38, und das sei ein Alter, sagt der gelernte Physiotherapeut, in dem man sich beruflich umorientieren müsse. Die Personalstruktur der Mannschaft wird sich daher in den kommenden Wochen erheblich verändern. Aber sind es nur die Kufenmänner, die der scheidende Trainer Leidborg meint, wenn er sagt, „in diesem Verein müssen noch andere Leute ausgetauscht werden“? AEV-Präsident Walter Capellmann jedenfalls stand am Nachbartisch, lauschte und grinste vergnügt.

Viertelfinal-Play-offs (Beginn 3. März): Preussen - Schwenningen/Rosenheim, Landshut - Kassel, Mannheim - Köln, Krefeld - Düsseldorf

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