: Born to be wild
Ein Friedhofsvorsteher zeigt seinen Friedhof / Christliche Motorradfahrer in Lederwams und Beinkleid bei Gottesdienst und Lagerfeuer ■ Von Gabriele Goettle
Vorgeschichte:
Mit hektischem Knattern und vibrierendem Dröhnen umrunden die Motorradfahrer eine Weile den Platz, dann schwenken sie ein, stellen ihre Maschinen schräg nebeneinander, legen Helm und Handschuhe ab und schreiten, mit geöffneten Lederjacken und schweren Stiefeln, fachsimpelnd und gestikulierend die Reihen entlang. Auf den außenstehenden Beobachter wirkt die Szenerie martialisch, ein wenig bedrohlich.
Aber die Kirche weiß es besser. Sie ahnt hinter der gestiefelten Hingabe an den Fetisch, dem geschnürten Lederwams und -beinkleid, eine schutzbedürftige Seele auf der Suche nach dem Herrn. Und tatsächlich. Die „Arbeitsgemeinschaft christlicher MotorradfahrerInnen in der EKD“ rief zu einem Wochenendtreffen auf dem Oberrabenstein bei Chemnitz auf, und viele Fahrer und Beifahrerinnen erschienen; bis hin zu einem tarnfarbenen Gespann mit Sirene und Fahne, Baujahr 1943, alles original von Rommels Afrika-Corps, natürlich auch die Uniform des Fahrers.
Am Abend liegen wir bei Kerzenschein in unserem Bus und blättern in Biker-Post und Krad- Apostel, Lektüre, die vom Jugendpfleger kostenlos verteilt wurde. Drüben sitzen die Buben beim Feuerscheine, essen Grillwurst und singen artig zur Klampfe, bis weit in die Nacht hinein. „Danke sage ich Gott für jede Minute auf dem Bike, für jedes Abwenden einer Gefahr, auch wenn ich sie noch gar nicht erkannte. Ich danke Gott. Tu du es auch! Motorradfahren macht Spaß und bekommt dann sogar einen neuen Sinn.“ So die Biker Post. Missionarischer Eifer in jeder Zeile: „Auch andere Motorradclubs brauchen JESUS, und wir können anderen Bikern helfen, IHN kennenzuleren. Wer hat Interesse an einem christlichen Motorradclub? Wer kann sich vorstellen, Evangelisation auf dem Motorrad zu machen?“ Ein paar Seiten weiter hießt es unter der Überschrift „Gottes Tolle Typen: Adam: „Mit ihm fängt das Leben an – in seiner Lust und seiner Mühsal. Er ist der erste jener faszinierenden Männergestalten der Bibel, der erste von Gottes tollen Typen. Die sind Krieger, Wilde und Schelme, Könige und Nomaden, Propheten und Weise, Heiler und Pilger, Magier und Liebhaber.“
Der erste, den ich am nächsten Morgen anspreche, ist ein EDV- Mann aus dem Westen, der für seine Firma Software im Osten verkauft. Er ist gerade im Begriff abzufahren. Die Veranstaltung gefällt ihm nicht, zu provinziell sei es, zu viele fromme Sprüche würden gemacht.
Ein anderer, auch kein christlicher Motorradfahrer, ein Schlosser und Sachse, ist zufrieden. Er ist in melancholischer Stimmung und will sich die Sache mal ansehen. Die Stimmung hängt mit der Arbeit zusammen, die er seit fast drei Jahren macht, erklärt er. Täglich acht Stunden in einer Abbruchkolonne Fabrikationsanlagen zerlegen im Akkord sei kein Vergnügen, schließlich habe er das alles mal andersherum gelernt. Von jeder Fabrik macht er vor der Demontage ein Foto und, vom selben Standort aus, eines danach, vom leeren Boden, auf dem sie stand. Er macht das für sich persönlich, damit er es später noch weiß. Vom Lohn allerdings läßt es sich leben, was ein gewisser Trost sei. Erst kaufte er sich die lederne Fransenjacke für fast fünfhundert Mark und dann die schwere Maschine auf Raten. Seitdem fährt er zu fast allen Motorradfahrertreffen, zuletzt war er bei dem in Schleitz, dort hätte vor über 20.000 Leuten sogar die Skin-Band „Böhse Onkelz“ gespielt.
Auch der älteste anwesende Motorradfan, ein freundlicher, ergrauter Pykniker mit weißem Karl- Marx-Bart, ganz in schwarzes Leder gehüllt, versteht sich nicht als „Kradapostel“. Zwar ist er dem Christentum nicht ganz abgeneigt, aber das ist nicht der Grund seiner Anwesenheit. Er ist jetzt Ende Vierzig, hat das Motorrad seit dem Frühjahr, und es verhilft ihm dazu, sich die Freiheit zu nehmen, einfach „mal rauszukommen“, und zwar aus dem Friedhof, auf dem er mit Familie lebt und arbeitet. „Man muß ab und zu mal etwas verwildern“, sagt er, und sein zweiundzwanzigjähriger Sohn mit dem blonden Pferdeschwanz nickt. Er hat ihn mitgenommen auf seinem Motorrad, ausnahmsweise. Hier teilen sie sich Zelt und Kochgeschirr, zu Hause hat der Junge seinen eigenen Haushalt, auch er arbeitet auf einem Friedhof. Ohne Murren nehmen die beiden einen mehrstündigen Wolkenbruch hin, qualmende Lagerfeuer, die eiskalten Duschen und den morgendlichen Gottesdienst im geschlossenen Freibad nebenan. Nach einer gemeinsamen Spazierfahrt mit Höhlenbesichtigung, Museumsbesuch und Imbiß wird es für die meisten Zeit zur Heimfahrt. Auch für den Friedhofsverwalter. Er gibt uns seine Adresse, wir sollen mal vorbeischauen, wenn wir in Leipzig sind. Dann schließt er das Visier und braust mit Sohn davon.
Drei Wochen später:
Der Wiederitzsche Gemeindefriedhof liegt weit außerhalb des Ortes an der Landstraße zwischen Leipzig und Bitterfeld. Unablässig tost der Verkehr vorbei. Es gibt weder Parkplatz noch Fußgängerweg. Die Straße zu überqueren ist nervenaufreibend. Wie Trauernde oder gar ein Trauerzug jemals dort hinkommen sollen, ist rätselhaft. Im Schaukasten neben dem Eingang hängt, neben anderen Mitteilungen, folgender Spruch: „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir selbst nicht sagen. (afrikanisch).“
Das Haus des Friedhofsverwalters liegt mit der Vorderseite zur Straße hin, der rückwärtige Teil ist durch eine Kolonnade mit der Friedhofskapelle verbunden.
An der Eingangstür treffen wir auf einen alten Mann, er will seine fällige Gebühr entrichten, aber der Friedhofsverwalter ist nicht da. Nach einer Weile aber kommt er, erstaunt, uns zu sehen. Bisher sei noch keiner von denen, die sagten, sie kämen mal vorbei, dann auch wirklich gekommen. Gut gelaunt und in weichem Sächsisch erzählend, führt er uns über seinen Friedhof.
„Der Friedhof ist genau einen Hektar groß, wurde 1910 gegründet. Es ist ein konfessionsloser Gemeindefriedhof, die hat man nach der Jahrhundertwende eingeführt, weil die Gemeinden allmählich nicht mehr wußten, wohin mit den Leichen, die auf den Friedhöfen der Religionsgemeinschaften keine Aufnahme fanden. Wir liegen hier sozusagen auf historischem Boden, dort hinten, an der nördlichen Mauer entlang, ging die alte Handelsstraße, die Salzstraße nach Halle. Weiter hinten stehen da teilweise vergammelnde LPG- Gebäude drauf, die sind aber auch schon ganz überwachsen. Das hätten wir früher nicht gedacht, daß auch solche Dinge den Weg alles Irdischen gehen. Ja, und hier drüben – ich muß den Lebensbaum wieder zurückschneiden –, den haben Sie sicher schon gesehen, den Gedenkstein für die Opfer des Faschismus. Hier vorne versteht man fast sein eigenes Wort nicht, vor lauter Straßenlärm. Wir können vorne raus kein Fenster aufmachen, sogar nachts ist Lärm, und morgens ab vier haben wir vor dem Schlafzimmerfenster Stau, da stehen sie Stoßstange an Stoßstange, die Lastwagen. Früher, zu DDR- Zeiten, war das mal eine ganz normale Landstraße. Damals zahlten wir für ruhigeres Wohnen 50 Mark Miete, heute kostet es 800 Mark Kaltmiete, und mit allen Umlagen kommen wir leicht auf 1.000 Mark. Ich habe etwas über 2.000 im Monat. Mein Kollege im Westen bekommt das Doppelte und hat auch nicht mehr Unkosten. Meine Frau ist Krankenschwester, sie überlegt schon, ob sie nicht wenigstens halbtags wieder arbeiten soll.
Na ja, Vorteil ist, ich bin mein eigener Herr hier und kann mir Zeit und Arbeit selber einteilen. Zu tun habe ich genug, ich bin das Mädchen für alles! Von der Buchführung bis zur Reparatur mach ich jede anfallende Arbeit. 1986 habe ich hier angefangen. Von Beruf bin ich eigentlich Landwirt, habe früher in einer LPG gearbeitet, Pflanzenproduktion. Da mußte man alles fahren und auch reparieren können, vom Traktor bis zum Mähdrescher. Später war ich eine Weile Kraftfahrer – so, und das hier ist unsere Friedhofskapelle, Jugendstil, ist gerade erst alles renoviert worden. Die grün und braun glasierten Ziegel und dort oben, die blau glasierten Puttenköpfe, das war alles weiß gestrichen, auch die glasierten Säulen am Altar. Sowas geht doch nicht! Was das für eine Arbeit war, die Farbe wieder runterzukriegen. Jetzt ist es doch wieder richtig schön und würdevoll.
Friedhof, Kapelle, Wohnhaus, das geht alles ineinander über. Sowas ist heute selten. An sich müssen Gräber ja mindestens 35 Meter von Wohnhäusern entfernt sein, na, mich stört es nicht. Was mich stört, das ist Unordnung. Vor der Wende, als ich herkam, da herrschte hier das reine Chaos. Die hatten nicht mal einen Zaun drumrum, sowas war ja Mangelware. Da konnte jeder reinsteigen, wie er wollte. Dort hinten war eine Fläche ganz stillgelegt, damit wollte man sich keine Arbeit machen, das Unkraut war mannshoch. Erst habe ich mich mal um eine provisorische Einfriedung bemüht, dann all die anderen heruntergekommenen Sachen in Angriff genommen. Man hatte, das war damals von Leipzig ausgegangen, zu DDR- Zeiten solche fliegenden Brigaden eingeführt, die sollten rundum Friedhofspflege betreiben. Man hatte sozusagen die Friedhöfe zusammengelegt, wie bei der LPG, so eine Art Kollektivierung der Friedhöfe – Acker und Gottesacker, könnte man sagen –, für riesige Friedhofsflächen war eine zentrale Verwaltung zuständig und eben diese fliegenden Brigaden. Aber
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das hat, wie auch an anderer Stelle, gar nichts gebracht. Die einen haben bei der Arbeit geschlampt, haben sich einen Lenz gemacht, die anderen haben nie was überprüft, und kosten sollte es auch nichts.
Man muß ja schon ein bißchen was verstehen von der Materie, dazu gibt es Vorschriften, gewisse Mindestanforderungen müssen eingehalten werden, nicht nur im ästhetischen, auch im hygienischen Bereich. Also, wie tief muß ein Grab sein, wie lange ist die Mindestliegedauer, da gibt es Vorschriften, die beruhen auf Erfahrungen. Zum Beispiel Typhusbakterien, die können einige Monate, Tuberkeln sogar einige Jahre überleben in der Leiche. Das muß man alles wissen. Ich sage den Leuten immer, die besten Särge – und das sind zugleich auch die billigsten – die sind aus weichem Nadelholz und verrotten bereits in zwei bis drei Jahren, und die geeignetste Leichenbekleidung- und Ausstattung ist aus Papier. Stoffe sind ja oft aus Synthesefasern, und sowas verrottet ganz schlecht.
Andererseits, Zeit ist ja genug, erst nach zwanzig Jahren darf das Grab neu belegt werden – in Preußen früher waren das sogar sechzig Jahre! An sich geht das ganze ja wesentlich schneller, in normalem Boden braucht eine Kinderleiche drei bis fünf Jahre und eine erwachsene zehn, höchstens fünfzehn Jahre, um sich zu zersetzen. Also man rechnet für den Fäulnisprozeß, der ja schon vor der Bestattung beginnt, nicht mehr als drei Monate, danach setzt dann die eigentliche Verwesung ein, die Leiche riecht dann immer weniger nach Buttersäure, sondern mehr und mehr modrig, nach Erde und Pilzen.
Totengräberarbeit mache ich ja auch. Wenn ich ein altes Grab aufgrabe und finde da die Gebeine, dan leg ich mir die zur Seite, schön versteckt, und wenn die Trauergemeinde weg ist, kommen die wieder mit der neuen Leiche rein, in ihr altes Grab, Erde drauf, fertig.
Wo ich grade davon rede, Erde, also das ist hier ein ganz entsetzlicher Boden. Ungefähr das Schlimmste, was man sich für einen Friedhof denken kann, so ein Ton- Lehm-Gemisch. Bei Trockenheit hart wie Eisen, bei Nässe zäh wie Blei. An einem Tag wie heute beispielsweise, es ist etwas feucht, nachts hatten wir Regen, da brauche ich ungefähr vier Stunden für ein Grab, einsachtzig tief. Im Winter muß ich mit dem Boschhammer ausheben.
An sich soll ein Friedhofboden ja porös und gut durchlüftet sein, das bekommt den Zersetzungsprozessen im Leichnam am besten. So ein Boden wie unserer hier hemmt die Fäulnisprozesse, und wenn's ganz ungünstig kommt, entsteht sogar das gefürchtete Leichenwachs: Dabei wird Körperfett und Muskeleiweiß in wachsartige Masse umgewandelt.
So eine Leiche ist dann jahrzehntelang – bis auf die Eingeweide – voll erhalten, was ja auf einem Friedhof ganz unerwünscht ist. Ich hab sowas aber bis jetzt noch nicht gefunden.
Das ist harte Arbeit und zu immer noch sehr humanen Preisen, sehen Sie mal dort, so eine prachtvolle Familiengrabstelle, direkt an der Mauer, die kostet bei uns 76 Mark Gebühr im Jahr. Aber die ganz normale Reihengrabstelle, die kostet pro Jahr nur 18 Mark, dann kommen Friedhofs- und Erhaltungsgebühren dazu von 20 Mark, das sind 38 Mark im Jahr und in 20 Jahren 760 Mark. Im Westen kommen Sie leicht auf 2.000 Mark, die werden in einem Schwupp kassiert. Wir erheben nur die 18 Mark für die gesamte Belegdauer, das sind also 360 Mark, und die Friedhofserhaltungsgebühr kann jährlich entrichtet werden, damit es den Leuten nicht zu schwerfällt. Jeder Friedhof hat andere Gebühren, aber vielerorts sind sie so hoch, daß der normale Mensch sich kaum mehr leisten kann zu sterben. Bei mir hier sind die Gebühren streng kalkuliert, die Einnahmen gehen auf ein eigenes Friedhofskonto, von dem bestreite ich dann sozusagen alle Unkosten, bis hin zu meinem Gehalt. Wie ein Unternehmen funktioniert das, wir sind ja hier ein Monopolfriedhof, also für alle offen, insofern gut belegt. Weiter die Straße runter, Richtung Leipzig, gibt es noch einen großen alten jüdischen Friedhof. Aber ob der noch ...? Ich habe übrigens – dort drüben, die kleinen Grabstätten – auch einen Urnenanlage hier, also einmal, ganz konventionelle Grabstellen, 70x70, und dann dort hinten ein Feld für anonyme Urnenbestattung, also das ist für Leute gedacht, die keine Beziehung und nichts hier haben, die sagen: Ich zahle meine einmalige Gebühr, und damit ist alles erledigt.
Ich führe hier natürlich genau Buch darüber, wer wo liegt, aber auf der Wiese selbst dürfen keinerlei Markierungen sein. Die Urnengräber sind auch auf 20 Jahre Dauer, bis dahin hat sich alles vollkommen zersetzt. Aber zu DDR- Zeiten, da hatten wir hier Urnen aus Plastematerial, die überdauern nicht nur die DDR, die können Sie in hundert Jahren noch bewundern. Das wird allmählich ein Problem, wenn die Zeit abgelaufen ist, da sind ja immerhin fast zwei Kilo von dem drin, was nach dem Verbrennen der Leiche übriggeblieben ist, das kann ich natürlich hier zurückgeben in den Boden, aber die Behältnisse?
Das sind so die Probleme. Ich möchte mal sagen, ich hab gern alles in Ordnung, meinen Friedhof und meine Bücher. Leider isses so, daß die alten Bestattungsbücher und die Kartei verschwunden sind, angeblich wurde sie früher vernichtet, weshalb weiß ich nicht. Das ist sehr schlecht. Ich habe versucht, bei den Angehörigen zu recherchieren, hab so eine Menge zusammengekriegt, trotzdem ist alles immer noch sehr unvollständig. Es ist auch das Interesse nicht mehr so groß heute bei den Leuten, und oftmals sind die Jungen weg, und die Alten sind im Feierabendheim.
Das ganze familiäre Leben ist in Auflösung, zu DDR-Zeiten war das noch anders. Das macht sich auch hier auf dem Friedhof bemerkbar, beispielsweise an einer Zunahme der Grabpflege, das haben ja bei uns früher die Leute selber gemacht. Jetzt bezahlen die Hinterbliebenen dafür. So mache ich auf vielen der Grabstellen die Pflege. So, wie die Leute eben wollen. Es geht alles, solange die Dinge im Rahmen bleiben. Wiesenkräuter, Eibe, Lebensbaum, viele haben auch kleine Hecken, Hauptsache, es wuchert kein Unkraut oder wird nicht zu groß. Wenn man das regelmäßig macht, Aufhacken, Unkraut jäten, dann hält sich die Arbeit in Grenzen. Im Winter decke ich ab mit Tanne, und im Sommer, wenn's heiß ist, wird jeden zweiten Tag gegossen. Die Gießerei ist allerdings eine Schinderei auf diesem Friedhof. Alles mit der Kanne, das trage ich hier überall hin, das Wasser, bis ganz dort nach hinten. Jetzt isses direkt schon fortschrittlich, früher war es so, wenn die Leute hier unten den Hahn aufdrehten am Brunnen, um ihre Kannen zu füllen – die waren immer sehr gießfreudig, die Leute –, dann kam bei uns oben im Haus überhaupt kein Wasser mehr aus der Leitung, kein Tropfen! Ich habe dann den Behälter aufgestellt, aus dem die Leute ihr Wasser pumpen konnten. Und dann kam damals das gute Angebot von der Braunkohle, eine Brauchwasserleitung zu uns abzuzweigen – die haben nach Leipzig Brauchwasser gepumpt aus dem Tagebau –, und da hatten wir dann eine Weile überhaupt keine Bewässerungsprobleme. Aber eines Tages wurde der Wasserdruck immer schwächer, bis es dann mit einmal – das war in diesem Jahr, in den heißen Sommermonaten –, da blieb es ganz weg. Feierabend. So! Jetzt geht alles wieder wie ehemals, über die Trinkwasserleitung. Wird unten aufgedreht, ist oben im Haus Sense!
Sehen Sie hier die Baumstümpfe? Das war mal eine prächtige Pappelallee. Sie müssen wissen, die Pappel ist nämlich in Sachsen der klassische Friedhofsbaum, es gibt sogar bei uns so ein altes Sprichwort für einen, der bald das Zeitliche segnet, es heißt: „Der muß in die Pappelallee.“ Ja, und unsere Pappelallee, die ist eingegangen. Die fliegenden Brigaden hatten sie falsch beschnitten. Aber den ausschlaggebenden Rest hat ihr vor allem die Grundwassersenkung durch den Braunkohleabbau gegeben – Pappeln wurzeln ja flach. Es ist einerseits schade, aber andererseits auch nicht. Pappeln ziehen eine Menge Ungeziefer an, durchwurzeln alles, drum habe ich jetzt beschlossen, hier Linden zu pflanzen. Eine Lindenallee ist doch auch ein schöner Anblick, sie spendet Schatten und riecht gut. Dort, das sind kleine Eiben, die habe ich vor einiger Zeit gepflanzt, als Abgrenzung, die habe ich auch sehr gerne, mit ihren roten Beeren im Herbst.“
Wir sind vor einem abgezäunten Gärtchen mit Blockhütte am Ende des Friedhofs angekommen, ich frage: „Und was ist das hier?“ Etwas verlegen, dann aber mit zunehmendem Stolz erklärt er:
„Das ist sozusagen unsere Datsche, mein privater Gemüsegarten. Ein paar Bohnen, Stachelbeeren, Erdbeeren, Kräuter, Salat, was man halt so mag, da drüben ist normalerweise alles voller Blumen, und dort, das ist für den Friedhof, das ist meine kleine Koniferenzucht. Wie's hier ausgesehen hat, das kann sich keiner vorstellen! Die Goldrute hat so hoch gestanden. Da dachte ich mir, kultivierst du dir die Ecke etwas, machst du was draus, ist ja schade drum, wenn alles so verkommt.
Nach der Wende habe ich mir dann das Häuschen geholt, sowas gab's bei uns in der DDR nicht, war gar nicht dran zu denken. Ich hab auch gleich alles abgezäunt, damit nicht jeder kommen kann, wie er will. Das ist jetzt richtig gemütlich hier. Denn wissen Sie, nur tagein, tagaus an der lauten Straße vorne im Haus sitzen, davon kriegt man so einen Kopf! Bevor man dauernd mit dem Auto, oder mit der Maschine losfährt, um mal wegzukommen, können wir hier hinten in aller Ruhe sitzen nach Feierabend, und uns erholen, von all dem ...“
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