Wieder nichts Großes

■ Auf dem Weg nach Utrecht muß Michael Stich erkennen, daß ihn selbst der relative Erfolg von Stuttgart kaum weiterbringt

Berlin (taz) – Mit einer Tradition, die etwa so vage ist, wie jene des „Stuttgart Open“ geheißenen ATP-Turniers pflegt der Unternehmer Michael Stich (26) die Woche nach Stuttgart für einen kurzen Rückzug aus dem Tagesgeschäft zu nutzen, und einen Augenblick des ersten Atemholens und Reflektierens einzulegen. Welche Aufschlüsse wird er mental erarbeiten? Daß er ökonomisch gesehen reüssiert hat, seinem Konto 208.000 Dollar gutgeschrieben werden, daß er trotz der Fünfsatz- Finalniederlage gegen Richard Krajicek (6:7, 3:6, 7:6, 6:1, 3:6) auch sportlich zufrieden sein kann, daß er, zusammenfassend gesehen, etwas geschafft hat – und, wie so oft, doch wieder nichts Bleibendes, Großes, Ganzes.

Vorsicht: Wir sind hier im ideellen Bereich und damit an einem Ort, der dem erklärten Materialisten Stich eine Niemandsbucht sein muß. Sein will. Vorgibt zu sein. Wenn aber denn von einer durchaus durchschnittlich-langweiligen Woche draußen in Bad Cannstatt irgend etwas haften bleiben sollte, dann wäre dies das Gesicht Stichs, nachdem er im Halbfinale den Münchner Publikumsliebling Becker 6:0, 6:3 und also nach Strich und Faden aus- und hergespielt hatte. Es war dies einer der wenigen öffentlichen Auftritte, bei denen Stich trotz aller erkennbarer Verstellung und Beherrschung seine Mimik nicht mehr recht kontrollieren konnte. Warum nicht? Weil seine Gefühle stärker waren. Michael Stich, dem Spiele gegen Becker „knapp am Arsch vorbei“ gehen, war richtig glücklich. Zwar, behauptete er, „gibt so ein Sieg normalerweise sehr viel Selbstvertrauen“, doch war alle Spannung bereits vor dem Finale von ihm genommen. Stich, zurück im Rationalen, hatte seiner Meinung nach seine Aufgabe erledigt. Jetzt muß er erkennen, daß der Sieg ihm möglicherweise kaum nützt. Hätte er das Finale gewonnen, wäre der Unterschied klar zu Tage getreten, zwischen einem Sieger und einem sich – von 14 Spielen in zweieinhalb Wochen geschwächt – als bloßen Gaukler entlarvenden Becker, der abgeschlafft nur noch ächzen konnte, daß „wenn man schon nicht Tennis psielen“ könne, man eben „etwas anderes machen“ müsse, „um die Leute zu unterhalten“. Die beste Unterhaltung ist aber hierzulande der Erfolg. Insbesondere, wenn es gegen Niederländer geht, die nächsten Gegner im Davis-Cup, der Ersatzbefriedigung nationaler Gefühle. Anfang April geht es nach Utrecht, und dort wird Krajicek (23), heute wieder die Nummer zehn der Welt, als Nummer eins der Niederlande und nunmehr veritable Gefährdung für den deutschen Halbfinaleinzug drohen.

„Für den Davis-Cup“, beruhigt aber Stich sich schon einmal, „läßt das keine Rückschlüsse zu.“ Warum nicht? Weil in Utrecht auf einem Hartplatz gespielt wird, der Krajiceks Bällen das Tempo nimmt? Wohl kaum, die Niederländer werden sich dabei schon was gedacht haben. Aber vielleicht: Weil neben Stich, der nach wie vor Weltranglistenneunter ist, noch ein Top-Ten-Spieler dabei sein wird? Boris Becker hat sich jedenfalls bis gestern, wie gewohnt, nicht mit dem heiklen Thema beschäftigt. Somit gilt weiterhin, was er beim Karlsruher Erstrundensieg über Kroatien gesagt hat. Daß nämlich, „die Tendenz ganz klar“ so sei, „daß ich spielen will“.

Will er? Mit Stich? „Becker und Stich“, mit dieser Beobachtung überraschte der Kolumnist Günther Bosch, „verstehen sich relativ gut.“ So gut, daß man beim Üben gewohnt aneinander vorbeigrüßt und auf die Idee, in Stuttgart das möglicherweise entscheidende Doppel zu proben, erst gar nicht kommt. Warum nicht? „Wir spielen beide sehr wenig Doppel.“ Sagt Stich. Genau: Er in Stuttgart sehr wenig mit Patrick Kühnen, Becker sehr wenig, weil erfolglos mit Charly Steeb.

Während Michael Stich zu diesem Thema sein Stich-Gesicht macht und schweigt, sind aus seiner Ecke von den Sekundanten bereits wieder erste unwillige Worte zu vernehmen. Dem vertraglich gebundenen DTB-Repräsentanten waren seinerseits fünfzehn Minuten seiner Zeit zu kostbar, um vor schwäbischen Schülern für den Verband zu repräsentieren. Das Turnier sei „zu wichtig“, hatte er erkannt. Genutzt hat es – und doch nicht. In Utrecht wird er sich in jedem Fall einfinden. Alles klar, hat die Nummer zwei längst versichert, „solange die nicht mit Käse schmeißen.“ Wer die? Peter Unfried