: Deutsch oder Polnisch?
■ Die taz sprach mit der polnischen Soziologin Danuta Berlinska über die doppelte Staatsbürgerschaft der Schlesier und das Problem der gespaltenen Loyalität
taz: Wie viele Menschen in der Woiwodschaft Oppeln oder in ganz Schlesien verfügen nach Ihren Erkenntnissen über die doppelte Staatsbürgerschaft?
Berlinska: Eine einheitliche Statistik darüber gibt es nicht. Das Breslauer Konsulat, das die deutschen Pässe an Schlesier ausgibt, veröffentlicht keine Zahlen. Man spricht von 70.000 in ganz Polen, von denen 40.000 Doppelstaatsbürger in Schlesien leben sollen. Der deutsche Abgeordnete im polnischen Parlament, Henryk Kroll, hat von 30.000 gesprochen.
Die deutschen und polnischen Behörden erkennen diesen Zustand nur de facto an. Was würde sich ändern, wenn sie ihn auch de jure anerkennen würden?
Soziologisch gesehen, würde das nur insofern etwas ändern, daß sich die Besitzer zweier Pässe nicht mehr damit verstecken müßten. Man kann höchstens mutmaßen, daß sich dann noch mehr Schlesier um einen deutschen Paß bewerben würden.
In Deutschland wird die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft hauptsächlich im Zusammenhang mit den türkischen Einwanderern diskutiert. Sollte sich Deutschland entschließen, sie einzuführen, könnten Sie sich dann vorstellen, daß Polen bei den Schlesiern nachzieht?
Die Türken wohnen in Deutschland, die Schlesier nicht. Wenn sich jemand entschließt, in ein anderes Land zu ziehen, dort zu leben, dann ist es für mich ganz natürlich, daß er auch die Staatsangehörigkeit erhält. Das gleiche gilt natürlich auch für Osteuropäer, die nach Deutschland kommen. Mit den Schlesiern ist das anders: Die bekommen die deutsche Staatsbürgerschaft schon, bevor sie überhaupt die Grenze überqueren. Sie müssen gar nicht erst in Deutschland wohnen, um die doppelte Staatsbürgerschaft zu erhalten. Sie leben die ganze Zeit in Polen, arbeiten hier.
Sie wären aber nicht dagegen, daß Schlesier, die dauerhaft nach Deutschland auswandern, dort ihre polnische Staatsbürgerschaft behalten?
Ich sehe da kein Problem. Auch bei den Türken hat es ja Jahrzehnte gedauert, bis daraus ein Problem wurde. Die Türken sind nach und nach nach Deutschland gekommen. Das wäre bei den Schlesiern jetzt auch nicht anders. Jetzt erhalten die Schlesier dagegen ihre deutsche Staatsbürgerschaft auf der Stelle. Die Folge ist eine Schwächung des Zugehörigkeitsgefühls zu Polen bei diesen Leuten. Die doppelte Staatsbürgerschaft erzeugt hier so eine Art Interimsgefühl, daß sie nur vorübergehend in Polen sind, weil sie ja jeden Moment weg können.
Das Problem der gespaltenen Loyalität?
Dieses Problem existiert hier eher als potentielle Gefahr – in Gestalt von Forderungen, daß die Schlesier mit deutschem Paß nicht nur Vertreter ins Warschauer Parlament, sondern auch in den Bundestag wählen können sollten. In dem Fall würde es zu einer gespaltenen Loyalität für einen Abgeordneten kommen: Soll er deutsche oder polnische Interessen vertreten?
Muß sich das denn ausschließen?
Es gibt Bereiche, wo Polen und Deutschland gemeinsame Interessen haben, und solche, wo das nicht so ist.
Otto Normalverbraucher hat damit höchstens dann zu tun, wenn es um Steuern oder den Militärdienst geht. Die Steuerfrage ist in den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen geregelt. Die zweite Frage könnte man ähnlich regeln.
Ich habe kürzlich sogar mit einer Familie zu tun gehabt, deren Sohn nach Deutschland gefahren ist und der jetzt in der Bundeswehr seinen Dienst ableistet. Wenn er zurückkommt, muß er in Polen noch mal zum Militär. Aber das ist seine Sache: Wenn er die doppelte Staatsbürgerschaft möchte und nicht in einem Land bleiben will, muß er eben den doppelten Preis zahlen. Wir haben hier sowieso den Sonderfall, daß jemand eine zweite Staatsbürgerschaft annehmen kann ohne den Nachweis, daß er auch wirklich in diesem zweiten Land leben will. Überall sonst in Europa muß man auswandern, um das zu schaffen. Da ist Schlesien schon ein echtes Unikum. Interview: Klaus Bachmann,
Warschau
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