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Die Ehe im Visier

In der sächsischen Landeshauptstadt fahnden die Staatsanwälte nach „Scheinehen“  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Die Staatsanwaltschaft Dresden leuchtet unter die Bettdecke. Bei der Behörde laufen mehrere Ermittlungsverfahren gegen sogenannte Scheinehen zwischen Deutschen und AusländerInnen. Oberstaatsanwalt Helmut Renz spricht von acht anhängigen Verfahren beim Dresdner Amtsgericht, „etwa ein Dutzend“ befinde sich noch im Ermittlungsstadium. Verfolgt würden diese „Scheinehen“ als Offizialdelikt, nämlich als Verstöße gegen das Ausländergesetz und mittelbare Falschbeurkundung. Betroffen sind binationale Ehen, die zwischen Deutschen und TürkInnen, VietnamesInnen, BürgerInnen arabischer oder anderer Staaten „zu dem Zweck eingegangen wurden, den AusländerInnen durch Heirat einen Aufenthaltsstatus in Deutschland zu beschaffen“.

Drei Verfahren in dieser Sache sind an Dresdner Gerichten bereits rechtskräftig abgeschlossen worden. In einer Berufungsverhandlung vor dem Landgericht im März 1994 wurde, wie Renz mitteilt, „ein Nordafrikaner“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Der Verurteilte hatte über eine Agentur in Dresden eine deutsche Frau kennengelernt und geheiratet. Diese Frau hatte dafür viertausend Mark bekommen, und der Verurteilte hatte an die Agentur zwanzigtausend Mark zahlen müssen.

Das Ehepaar hatte, wie das Gericht feststellte, „nie zusammengelebt“, weder in gemeinsamer Wohnung noch in anderer Form eines gemeinsamen Haushalts. Der als Zeugin vernommenen Ehefrau seien die Konsequenzen der Scheinheirat nicht bekannt gewesen.

Der Ehemann stellte im September 1993 anstelle des Asylbegehrens einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Dem wurde stattgegeben, doch die Zeugin war nun fortan zum Unterhalt ihres Ehemanns verpflichtet. In den beiden weiteren Verfahren, ebenfalls gegen männliche Bürger aus nordafrikanischen Staaten, wurde eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung sowie von drei Monaten und zwei Wochen mit Bewährung verhängt. Die nach Paragraph 92 Absatz 1 (jetzt: Absatz 2) des Ausländergesetzes abgeurteilten Tatbestände seien in allen Fällen, so Oberstaatsanwalt Renz, „ähnlich“ gewesen.

Nachdem im September vergangenen Jahres eine deutsche Frau ihre „Scheinehe“ mit einem türkischen Mann gestanden hatte, untersucht die Dresdner Staatsanwaltschaft nun, wie Renz bestätigt, „gezielt deutsch-türkische Eheschließungen“. Wie die Ermittler vorgehen, ob nach dem Prinzip der Rasterfahndung alle Ehen durchgeprüft werden, verrät der Oberstaatsanwalt selbstverständlich nicht.

Angesichts dieser Justizpraxis müssen Frauen, die in Dresden einen Mann mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit heiraten, sich vergegenwärtigen, daß der Staatsanwalt mit im Standesamt sitzt. Dagegen brauchen Männer, die sich über dubiose Agenturen ein Thaimädchen zulegen, auch künftig nichts zu fürchten. Auf der Verliererseite steht immer die Frau und der nichtdeutsche Mann.

Vor der Gefahr, „mit strafrechtlichen Mitteln präventiv Angst zu verbreiten und binationale Ehen zu kriminalisieren“, warnt deshalb der Sprecher des Sächsischen Flüchtlingsrates, Rechtsanwalt Lothar Hermes. Die Staatsanwaltschaft gebe binationalen Ehen das Signal: „Irgendwann einmal kann euer Verhältnis überprüft werden!“ Von „Scheinehe“ könne, wenn überhaupt, im strafrechtlichen Sinn allein dann gesprochen werden, „wenn bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung keine Lebensgemeinschaft bestanden hat und wenn auch nie beabsichtigt war, eine solche aufzubauen“. Unter dem rigiden Ausländerrecht der Bundesrepublik sei die Eheschließung für Ausländer der einzig sichere Weg, im Land zu bleiben. Der soll nun offenbar gestopft werden.

Diese Auffassung teilt auch die Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen (IAF). Bundesgeschäftsführerin Sabine Kriechhammer-Yagnur erinnert an die in den alten Ländern „mindestens fünfzehn Jahre alte Diskussion um Scheinehen“. Immer wieder würden Behörden bei binationalen Ehen „Motivforschung“ nach „fragwürdigen Kriterien“ betreiben. Kommt der Partner oder die Partnerin aus einem Staat außerhalb der Europäischen Union, müssen binationale Paare alternativlos den Weg zum Standesamt gehen, auch wenn sie vielleicht lieber in einer anderen Form der Partnerschaft leben möchten. Das Ausländergesetz sei so auch „Machtpotential“ in der Hand des deutschen Partners oder der deutschen Partnerin und daher mißbrauchbar für den Fall, daß die Ehe nicht den Erwartungen entspricht. Im Dezember 1993 hatte das Landratsamt Leipzig mit Rundschreiben alle Standesämter aufgefordert, bei einem Aufgebot mit Ausländern „generell die Ausländerbehörde zu informieren“. Bei „Verdacht auf eine Scheinehe“ solle die Aufgebotsniederschrift eingeholt und das Paar „etwa eine Woche später wiederbestellt“ werden. Bei diesem Termin erhält es „zunächst mündlich die Ablehnung des Aufgebots.

Nur wenn das Paar darauf besteht, muß die Ablehnung schriftlich mit Rechtsbehelfsbelehrung erfolgen.“

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