piwik no script img

Der Trend zum „heimlichen Schulgeld“

Wöchentlich investieren westdeutsche Eltern 30 Millionen Mark in den Nachhilfeunterricht ihrer Kinder / Vor allem die Kinder aus gehobenen Schichten werden gezielt gefördert  ■ Aus Berlin Karin Flothmann

Die Bildungschancen für Jugendliche sind so gut wie nie zuvor. Doch gleichzeitig steigen auch die Qualifikationsanforderungen enorm. Wer eines Tages einen anspruchsvollen Beruf ausüben will, spürt den Druck schon in der Schule. Und im eigenen Elternhaus. „Eltern sind heutzutage die Karriereberater ihrer Kinder“, behauptet der Bielefelder Professor Klaus Hurrelmann. „Sie managen die Schullaufbahn ihrer Kinder, und dazu gehört auch der Nachhilfeunterricht.“

Fast jede/r fünfte elf- bis 17jährige Jugendliche in Westdeutschland erhielt nach einer neuen Studie der Jugendforscher Klaus Hurrelmann und Andreas Klocke im letzten Jahr privaten Nachhilfeunterricht. Die Untersuchung basiert auf einer Befragung von rund 5.900 Schülerinnen und Schülern in Nordrhein-Westfalen. Im Schnitt gaben Eltern für die Lernhilfen 150 bis 200 Mark im Monat aus. Auffällig: Vor allem Eltern aus gutsituierten Schichten kauften sich die Karrierehilfe und investierten in die Zukunft des Nachwuchses.

Still und leise, so meint Hurrelmann, habe sich auf diese Weise wieder eine Art „heimliches Schulgeld“ ins bundesdeutsche Bildungswesen eingeschlichen. Denn Schulabschlüsse und deren spätere Verwertbarkeit gelten den neuen Karriereberatern der Jugend als „Eintrittskarte“ in ein erfolgreiches Berufsleben. Längst ist das Abitur der Bildungsabschluß Nummer eins geworden. Besuchten in den 50er Jahren noch rund 80 Prozent aller SiebtklässlerInnen die Hauptschule, so hat sich dies im Lauf der letzten 45 Jahre grundlegend verändert. Marktführer im Bildungssystem wurde das Gymnasium, das heute mehr als ein Drittel aller SchülerInnen (36 Prozent) der siebten Klasse besuchen (1950: 13 Prozent).

Im Wettlauf um die höheren Schulabschlüsse spielt der Nachhilfeunterricht eine immer entscheidendere Rolle. Die Mutter als Nachhilfelehrerin der Nation ist passé. Frauen mit Kindern legen Wert darauf, berufstätig zu bleiben. Also springen private Lerninstitute ein, auch erwerbslose LehrerInnen, StudentInnen und SchülerInnen. Die Eltern, so errechnete Hurrelmann, geben wöchentlich etwa 30 Millionen Mark für die außerschulische Hilfe aus. Mädchen und Jungen werden dabei in gutsituierten Schichten gleichermaßen gefördert.

In Ostdeutschland ist der Nachhilfeunterricht noch nicht so gefragt. Doch mit dem zunehmenden Abbau der dortigen Ganztagesschulen zeichnet sich laut Hurrelmann auch für die neuen Bundesländer der Trend zur privaten Nachhilfe ab.

„Das hohe Ausmaß des privat finanzierten, außerschulischen Nachhilfeunterrichts“, so das Fazit der Bielefelder Forscher, sei „ein deutliches Warnsignal an Schulen und Kultusbürokratie“. Immerhin sorge es für „erhebliche Restbestände von Bildungsungleichheit“. Abgeholfen werden könne dem nur durch mehr „innerschulische Förderung“. Ein Plädoyer für mehr Ganztagsschulen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen