piwik no script img

Gertrude Stein in Musik

■ Die Wienerin Olga Neuwirth beim Bremer Podium – Großartige Leistung des Klangforums Wien

In der Pause sagte ein Österreicher, daß die Österreicher eben nicht gelernt hätten, sich öffentlich zu äußern. Mehr als schwierig also, die 27-jährige Wienerin Olga Neuwirth überhaupt nur andeutungsweise zu verstehen: ihre in hohem Tempo „abgeschossene“ fragmentarische Sprache erreichte ihr Ziel nicht einmal, als genaue und interessante Fragen aus dem Publikum kamen. Zudem hatte sie ihre Einführung gedanklich zusammenhanglos und minibrockenartig vorbereitet. Nun soll man eine Komponistin nicht an dem messen, was und wie sie etwas sagt, aber das Bremer Podium ist nun einmal auch ein Diskussions- und Frageforum für Neue Musik, und dann müssen die Grundlagen dafür geschaffen werden, wie auch immer. Nehmen wir diese gespenstische Stunde, in der die Komponistin weit hinten ganz verloren auf der Bühne saß – also auch von daher Kommunikation schwer möglich war – als ein Happening ganz besonderer Art und halten uns an die Musik.

Zwar sprach Olga Neuwirth vom „Ordnung schaffen in der Dynamik des Zerstörens“, von ihrem grundsätzlichen Interesse an der „Fusion von akustischem Instrumentarium und der Elektronik“, mochte sich aber auf Planungs- oder Formprinzipien nicht festlegen lassen. Unter Organik versteht sie klangliche Gebilde, die sie „laufen läßt und dann aufeinanderhetzt“, um dann auch wieder „mit der Brechstange“ einzugreifen. Der Versuch, die physikalische Komponente des Klanges „körperlich spürbar“ zu machen, führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen,.. Immer aber zu solchen, die von Klängen, zwischen Bewegung und Stille, zwischen „Aufbauen und Zerstückeln“ erzählen .

Bei aller Unwägbarkeit der Bremer Podien hat es immer eine verläßliche Konstante gegeben: die Qualität der Interpretation. Und diese setzte das zum ersten Mal in Bremen gastierende „Wiener Klangforum“ unter der Leitung von Konstantia Gourzi auf höchstem Niveau fort. Die „Vexierbilder“ für Flöte, Klarinette, Saxophon, Posaune und Tonband aus dem Jahr 1993 arbeiten mit hochgetriebenen und zurückgenommenen Energien, bei denen ein Verwirrspiel mit den Klangquellen betrieben wird. Immer wieder wird im improvisatorischen Gestus die Herkunft der Komponistin als Jazz-Musikerin deutlich, so auch in dem gestenreichen und witzigen Solobaßklarinettenstück „Spleen“ (1994), das allerdings auch als eine sorgfältige Aneinanderreihung der technischen Möglichkeiten des Instrumentes wirkt.

Überzeugender die „Five daily miniatures“ – nach Texten von Gertrude Stein –, deren Grundidee der Versuch ist, Fragmente zu schreiben und die vorherigen zu vergessen. Daß das gar nicht möglich ist, gebiert die Spannung des Stückes und zeigt Olga Neuwirths Verhältnis zur Tradition: „Ich stelle mich nicht aus der Tradition, sondern ich versuche, in diesem Labyrinth einen Faden zu finden, der mich interessiert“. So spielt sich zwischen den Polen des barocken Countertenors und dem avantgardistischen präparierten Klavier eindringlich Humorvolles und Sarkastisches ab.

Der wuchernde Reichtum ihrer Einfälle und das professionelle handwerkliche Können kamen am schönsten zur Geltung im Ensemblestück, das den Titel der alles verschlingenden Kletterplanze „Lonicera Caprifolium“ (1993) trägt: Konstitutiv ist die Existenz eines einzigen Klanges, der pflanzenartig wuchert, auch gewaltsam zerschnitten wird und aufregende Korrespondenzen zum elektronischen Zuspielband zeigt. Eine besondere ästhetische Festlegung wie beispielweise Anton Webern sie in seiner Beschäftigung mit Goethes Urpflanze entwickelt hat, oder auch den Versuch, biologische Prozesse zu übertragen, verbindet die Komponistin mit einem solchen Formansatz nicht. Für sie ist das „ständige Changieren zwischen verschiedenen Dichtheitsgraden“ interessant, die Übersetzung in die Künstlichkeit der Musik. Besonders dieses eruptiv-wuchernde, an die Klanglichkeit eines Edgar Varèse erinnernde, war auch interpretatorisch ein Höhepunkt.

Ute Schalz-Laurenze

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen