■ Vorlauf: Aus nächster Nähe
„Ulrike Marie Meinhof“, 20.40 Uhr, arte
Die Klagen über eine fade Berlinale noch im Ohr, kann man heute abend feststellen, daß sich die Ereignisse dieses Filmfests dort abspielten, wo sie dem Genre nach hingehören: im Dokumentarfilm. Prekärer als „Ulrike Marie Meinhof“ war nun selten ein Filmprojekt, und entsprechend umstritten war es. Nicht nur ist ein Porträt von dieser Frau dazu verdammt, ins Fegefeuer der Siebziger-Jahre-Mythologie zu geraten. Timon Koulmasis operierte auch noch aus gefährlicher nächster Nähe: Er ist der Sohn der Frau, die Klaus Rainer Röhls Geliebte wurde, als Ulrike Meinhof noch glaubte, er sei ihr lieber Ehemann.
Die Nähe zur Familie hat ihm andererseits auch Filmaufnahmen verschafft, die einem schlicht das Herz brechen: die Meinhof als junge protestantische Frau der fünfziger und frühen sechziger Jahre, mit hochgesteckten Haaren, Taftröcken und einem zaghaft hervorkullernden Frohsinn. Mit Röhl auf Sylt, diesem Röhl, von dem sich ein theologisch gebildetes Waisenkind die Erlösung aus dem Elend versprach. Obwohl diese Seite der Frau, die dann später ihre mit Röhl gezeugten Töchter Bettina und Regine entführen und in ein Barackenlager nach Sizilien verbringen ließ, sehr exponiert wird, geht es Koulmasis keineswegs um eine Demontage der politischen Meinhof.
Klaus Wagenbach, Freimut Duve und andere stellen immer wieder die Verbindung zur Restaurationspolitik der frühen Bundesrepublik her; nur merkt man ihnen an, daß sie inzwischen die private Seite der Ereignisse zur Alltagskultur und damit in die Geschichtsschreibung einzurücken bereit sind – um so verblüffender, daß aus dem Festspielpublikum regelrechte Haßtiraden nicht nur gegen Röhl, sondern vor allem gegen den Sozialdemokraten Duve herausbrachen. Bei den Filmvorführungen vorgebrachte Bezichtigungen von seiten der Töchter, Koulmasis habe Briefe und andere Dokumente von Ulrike Meinhof unrechtmäßig publiziert, hat Koulmasis nicht öffentlich dementiert, obwohl er sie widerlegen kann. In diese Geschichte ist, so weiß er, kein Recht mehr zu bringen.Mariam Niroumand
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen