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Wenn Köchinnen sich einmischen

Kongress der „Soldatenmütter Rußlands“ für Leben und Freiheit / Abschlußresolution fordert: Verantwortliche für Tschetschenienkrieg sollen vor Gericht gestellt werden  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Die Atmosphäre in dem kleinen, kaum dreihundert Menschen fassenden Saal erinnerte zeitweilig an die Hoch-Zeit der russischen demokratischen Bewegung, als sich Gorbatschows Perestroika dem Ende zuneigte. Soldateneltern und solche, die ihnen aktiv helfen wollen, russische und ausländische Parlamentsabgeordnete, aber auch nicht wenige Mitglieder der russischen Vereinigung „Militärs für die Demokratie“ trafen sich hier, im Moskauer „Haus des Touristen“, zum ersten Kongress „Für Leben und Freiheit“, organisiert vom „Komitee der Soldatenmütter Rußlands“.

Da kam viel Unzufriedenheit zum Vorschein, die sich in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft angesammelt hat und nun in der militärischen Aggression der russischen Regierung in Tschetschenien einen neuen Kristallisationskern findet.

Sogar der von Jelzins Präfekten abgesetzte Bürgermeister von Wladiwostok fand sich ein, dessen rechtmäßiger Stellvertreter voriges Jahr in einer Nachahmung des historischen Prager Fenstersturzes von einer Sondereinsatztruppe aus seinen Amtsräumen und auf die Straße geworfen worden war. Ex- Bürgermeister Tscherepkow hatte in seiner Amtszeit den Soldatenmüttern geholfen, gegen das Militärregime auf der fernöstlichen Insel Ostrow Russki vorzugehen – praktisch ein Konzentrationslager für junge Rekruten, in dem viele den Tod fanden.

Hin und wieder gab es auf dem Kongress auch eine politische Enthüllung, zum Beispiel in der kurzen Ansprache von Flora Salichowskaja, die seit Jahren die Arbeit des Mütter-Komitees mit Deserteuren leitet. „Ich will ein bißchen über die Ehrerbietung reden, die unsere Regierung für die Frauen übrig hat, die Mütter, die Soldaten, das Volk und so weiter“, begann Frau Salichowskaja mit ihrer tiefen Stimme und berichtete dann über ihr Treffen mit Premierminister Viktor Stepanowitsch Tschernomyrdin am 20. Januar. Sie hoffte bei dieser Gelegenheit, einiges zu klären: nämlich die juristische Situation der Kriegsgefangenen und der jungen Soldaten, die in einem nichterklärten Krieg ihre Positionen aufgaben, weil sie nicht gegen friedliche ZivilistInnen kämpfen wollten. Alle Anfragen der Mütter in dieser Angelegenheit bei der Militärstaatsanwaltschaft und beim Präsidenten sind ohne Antwort geblieben.

„Viktor Stepanowitsch, man muß endlich mit diesem Gemetzel Schluß machen“, hub Frau Salichowskaja an. Die Antwort des Ministerpräsidenten hat sie nach eigenen Worten „einfach verblüfft“: „Sie wissen doch, daß das Muslime sind“, habe Tschernomyrdin ihr über die TschetschenInnen gesagt, „und die verstehen keine andere Sprache“. Die Äußerung war für Frau Salichowskaja umso peinlicher, als sie selbst Muslimin ist.

Die Vorsitzende des Komitees, Maria Kirbassowa, eine elegante, schrägäugige Kalmückin buddhistischen Glaubens, nahm diesen Bericht zum Anlaß für einen breiteren Exkurs. „Diese Ansicht, daß die Tschetschenen keine Menschen sind und man sie deshalb ruhig umbringen kann, habe ich in Wladikawkas (Nord-Ossetien) von vielen Offizieren gehört", sagte Kirbassowa. „Dies bezeugt die in Rußland wachsende Tendenz zum Faschismus, und der eben zitierte Ausspruch Tschernomyrdins zeugt von Faschismus auf der obersten Ebene des Staates.“

Auf den Wellen der allgemeinen Politisierung zeigten sich die Soldatenmütter sogar für sexistische Äußerungen sensibilisiert, wie sie von der Überzahl der russischen Bürgerinnen sonst mit größtem Gleichmut hingenommen werden. Unter rauschendem Beifall charakterisierte Flora Salichowskaja, wie sich das Verhältnis der Armeeführung zu den Soldaten als Nutzvieh bereits auf die Soldatenmütter überträgt: „Da hat unser Verteidigungsminister uns ,diverse Köchinnen und Melkerinnen‘ genannt. Es ist eine interessante Frage, wo er sich heute befände, wenn ihm unsere Köchinnen nicht ihre Söhne anvertraut hätten, Verteidigungsminister jedenfalls wäre er dann wohl kaum.“

Im übrigen ließen die Mütter keinen Zweifel daran, daß sie nicht gegen die Armee als solche seien, wohl aber dafür, in derselben „Ordnung zu schaffen“. „Wir lassen nicht zu, daß ein einziger unserer Jungen vor Gericht gestellt wird, denn sie sind keine Kriegsverbrecher“, hieß es in vielen Reden.

Dagegen beschlossen die TeilnehmerInnen des Kongresses in einer Abschlußresolution, sich dafür einzusetzen, daß die Verantwortlichen für den Tschetschenienkrieg und die Mißwirtschaft in der russischen Armee vor Gericht gestellt werden.

Auf dem Kongress versicherte eine der ältesten Menschenrechtsorganisationen der Welt die Mütter ihrer Unterstützung. Helen Golombek, gebürtige Norwegerin und Mitarbeiterin der SPD in Bonn, übergab im Namen des 1910 gegründeten International Peace Bureau den mit einer Geldsumme verbundenen Sean-MacBride- Price. Golombek, die auch der Helsinki Citizens' Assembly angehört, will sich dafür einsetzen, daß das „Komitee der Soldatenmütter Rußlands“ in diesem Jahr für den Friedensnobelpreis nominiert wird.

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