Giftiger Schlamm, Tiroler Wurzeln

■ Ingrid Strobl stellte in Berlin ihr neues Buch vor, in dem es um österreichischen und linken Antisemitismus geht

Zehntausend gingen 1989 auf die Straße, um Freiheit für Ingrid Strobl, die antifaschistische, feministische „Frau des Wortes“ zu fordern, die in diversen ziemlich rechtsfehlerreichen Prozessen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (der „Revolutionären Zellen“, der Anklagepunkt wurde später kassiert) und angeblicher Mitwirkung an einem zierlichen Sprengstoffanschlag auf ein Lufthansagebäude verurteilt worden war. Der Prozeß gegen die gebürtige Österreicherin, die letztlich zweieinhalb Jahre absaß, war das letzte große Verfahren, in dem weite Teile der bundesdeutschen Öffentlichkeit sich für eine angebliche „Terroristin“ engagierten; insgeheim wohl auch, weil sie der Anklage glaubten.

Das scheint alles unglaublich lang her und in einer anderen Welt geschehen zu sein. Einer Welt, über die man am besten nur noch – wie viele Ex-K-Grüppler – in Andeutungen spricht. Die Collection Fischer, in der das neue Buch von Ingrid Strobl erschienen ist, verschweigt dann auch in einer Randnotiz den prominentesten Teil ihrer Biographie.

Am Montag abend stellte die in Köln lebende freie Autorin ihr neues Buch – „Anna und das Anderle“ – in der Kulturfabrik im Berliner Studentenbezirk Prenzlauer Berg vor. Ungefähr hundert zumeist sehr junge ZuhörerInnen, und ein paar spärliche Reste der linken Westszene, waren gekommen. Eine Stunde lang las Strobl ein paar Kapitel aus ihrem Buch, in dem es um „Anna“, eine in Deutschland lebende Buchhändlerin, geht, die sich in ihre Heimat Tirol begibt „auf der Suche nach ihren Wurzeln und zugleich nach dem Antisemitismus, der den Boden, in dem diese Wurzeln steckten, vergiftet hat“. Als sie ihre Heimat verließ, verdrängte die ehedem links und internationalistisch Gesinnte die Geschichte, in der sie wurzelte. In Archiven entdeckt sie überrascht, daß sich ihre Landsleute, die sich gern als erstes Opfer des NS-Staates fühlen, mehr noch als die Deutschen in der Judenvernichtung engagiert hatten. Betroffen fragt sie sich: „Vielleicht muß man seine Wurzeln in der Erde lassen, um früh genug zu spüren, wieviel giftiger Schlamm in dieser Erde steckt und die eigenen Wurzeln angreift?“ In diversen Südtiroler Sagen und Legenden, die sie als Kind geliebt hat (wie die Sage vom kleinen Mädchen Anderle, das von Juden geschächtet ward und in Tirol immer noch als Heilige verehrt wird) findet sie die Ursprünge eines immer noch fortwirkenden Tiroler Antisemitismus. Beim Nachdenken über ihr Leben findet sie heraus, daß auch ihr eignes linkes Engagement nicht frei von Antisemitismus war. In einer langen, nicht unkoketten Selbstanklage, die sie bezeichnenderweise nicht vortrug, schreibt sie von ihrer „blinden Leidenschaft für den Kampf des palästinensischen Volkes, einer Leidenschaft, die alles, was ich für andere Völker oder Minoritäten empfand [...] übertraf“. Sie als „Österreicherin, Landsfrau von Hitler und Kaltenbrunner“, bekennt und entschuldigt sich bei Lea, einer imaginären jüdischen Freundin dafür, daß sie „indem ich nicht für die Sicherheit der Menschen in Israel garantieren konnte und trotzdem den gerechten Kampf der Palästinenser unterstützte [...] die mögliche Vernichtung Israels [...] in Kauf genommen“ hätte.

Nach der Lektüre fragt man sich, ob man selber die linke Geschichte der Ex-BRD völlig falsch gelesen hat oder ob Ingrid Strobl inzwischen marktgängigen Trends folgt. In einer müden Diskussion blockte die Autorin Fragen nach realgeschichtlichen Hintergründen eher ab. Sicher sei einiges autobiographisch, dennoch dürfe man sie nicht mit der Heldin ihres Buches verwechseln. dk