piwik no script img

Geständnisse im Synagogenprozeß widerrufen

■ Zwei der vier Angeklagten erklären ihre Unschuld und entlasten auch einen dritten Beschuldigten / Gericht und Bundesanwaltschaft überrascht

Schleswig (dpa/taz) – Im Schleswiger Prozeß um den Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge haben die Angeklagten Stephan Westphal (25) und Nico Trapiel (20) am Mittwoch ihre Geständnisse überraschend widerrufen.

Erstmals nahmen sie auch ihre Beschuldigungen gegen den Mitangeklagten Dirk Brusberg (22) zurück. Der vierte Angeklagte, Boris Holland-Moritz (20), wiederholte dagegen seine bisherige Darstellung: Er und die anderen drei seien an dem Anschlag in der Nacht zum 25. März 1994 beteiligt gewesen. Die vier müssen sich seit 24. November vorigen Jahres wegen gemeinsamem fünffachen Mordversuchs und schwerer Brandstiftung verantworten.

Motive für ihre falschen Geständnisse seien die Vernehmungsmethoden der Polizei gewesen, erklärten die beiden jungen Männer. Sie seien unter anderem mehrfach angeschrien worden. Westphal führte sein Geständnis vor Gericht außerdem auf den angeblichen Rat seines Verteidigers zurück. Er werde „weniger bekommen“, wenn er gestehe.

Der Prozeßvertreter der anklagenden Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Klaus Pflieger, zeigte sich vor allem wegen der offensichtlichen Falschbeschuldigung des Mitangeklagten Brusberg deutlich bestürzt: „Hier deutet alles auf Freiheitsberaubung hin aufgrund falscher Aussage“, sagte er, „das bedeutet ein Jahr bis zehn Jahre Freiheitsstrafe.“ Brusberg sitze ausschließlich wegen der bisherigen Aussagen der drei Angeklagten seit zehn Monaten in Untersuchungshaft.

Westphal und Trapiel gaben an, sie seien zum Tatzeitpunkt in der Nacht zum 25. März 1994 in der Lübecker Wohnung des 20jährigen gewesen. Das könne die Verlobte Trapiels bezeugen. Die 16jährige hatte jedoch frühe betont, sie wisse nicht, ob die beiden die Wohnung in der Nacht nochmal verlassen haben.

Der Lübecker Brandanschlag war der erste auf eine Synagoge nach der Nazi-Herrschaft. Der Prozeß verlief bislang schwerfällig, das Gericht kam mit der Sachaufklärung kaum weiter. So verstrichen mehrere Prozeßtage damit, nach einem möglichen fünften Täter zu fahnden. Der Cousin und der Onkel von Nico Trapiel hatten über eine Boulevard-Zeitung einen Skinhead namens Thorsten ins Spiel gebracht. Trotz ihrer Beschreibung wurde der Mann nie gefunden. roga

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen