: Verhandeln ja – aber worüber denn?
■ 89 Prozent der GEW-Mitglieder sind für Gespräche, nur 36 Prozent für Streik Von Kaija Kutter
Der nach den Sommerferien in der Hamburger GEW entbrannte Linienstreit hat ein vorläufiges Ende gefunden. Gestern veröffentlichte GEW-Sprecher Hannes Holländer die Ergebnisse einer internen Mitgliederbefragung, an der sich 37 Prozent der rund 7200 in der Gewerkschaft organisierten Lehrer beteiligten. Fazit: eine deutliche Mehrheit von 89 Prozent votierte dafür, mit der Schulbehörde zu verhandeln. Demgegenüber wären nur 36 Prozent bereit, sich an einem „Kampfarbeitstag“ zu beteiligen.
Damit wird im Nachinein jene Position des GEW-Vorsitzenden Hans-Peter de Lorent bestätigt, der bereits nach den Sommerferien öffentlich bezweifelt hatte, ob die Fortführung des reinen Konfrontationskurses Sinn macht. Auf Grundlage der Befragung hat der Landesvorstand der GEW nun ein „Handlungskonzept“ entwickelt, das bereits am Mittwoch auf einer Vertrauensleute-VV besprochen wurde und Ende März zum Gegenstand der noch größeren Landesvertreter-VV (LVV) werden soll. Erst danach, so de Lorent gestern, werde es Gespräche mit der Schulsenatorin Rosemarie Raab geben.
Doch so richtig große Euphorie mochte gestern im Curio-Haus nicht aufkommen. Die Auseinandersetzung sei zwar „auf einer anderen Ebene angekommen“ und inzwischen sehr konstruktiv, sagte die GEW-Vize-Vorsitzende und de Lorent-Gegenspielerin Gudrun Zimdahl. Zugleich sei aber bei der Vertrauensleute-VV deutlich gegenworden, daß es „sehr große Skepsis“ gegenüber den geplanten Gesprächen gibt.
Schulsenatorin Raab hatte Anfang Januar in einem taz-Interview beteuert, sie sei „jederzeit zu Gesprächen bereit“. Gleichzeitig bezeichnete sie es als indiskutabel, die für den 1. August 1995 geplante Pflichtstundenerhöhung vom Volumen her zurückzunehmen. Denkbar sei, so die Politikerin damals, über eine neue Verteilung von Aufgaben und Arbeitszeit zu reden. Gestern bekräftigte Raab: Die Pflichtstundenerhöhung trete zum neuen Schuljahr in Kraft. Sei das Mandat der GEW daran gekoppelt, erübrigten sich Gespräche.
Doch eben die „Rücknahme der Pflichtstundenerhöhung“ steht bei den abgefragten Zielen der GEW-Basis mit 73 Prozent ganz obenan. Dicht gefolgt von „Neueinstellungen“ (65 Prozent) und „mehr Ressourcen“ (54 Prozent). Weit weniger dringlich die Sehnsucht nach „mehr Autonomie“ (31 Prozent).
Die GEW-Spitze will nun eine Doppelstrategie fahren, die de Lorent mit „kämpfen und verhandeln“ umschrieb. So werden die Verhandlungen, die nicht in „jahrelange Arbeitsgruppengespräche“ ausufern sollen (de Lorent), von einer zentralen Protestaktion gegen die Stundenerhöhung am 26. April auf dem Rathausmarkt ergänzt.
Dennoch steckt die GEW in einem Dilemma: sie protestiert öffentlich gegen etwas, das zu verändern sie selbst auf dem Verhandlungswege nicht erhofft. „Es wird nicht zu erreichen sein, daß die Senatorin sagt, wir werden die Pflichtstunden zum 1. 8. nicht erhöhen“, sagte de Lorent auf Nachfrage. Verhandelt werden soll deshalb über andere Arbeitszeitmodelle und über die Frage, ob Halbjahrszeugnisse und ein Teil der Klassenarbeiten nicht zwecks Entlastung der Kollegen gestrichen werden.
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