: Ein ungeplantes Wiedersehen
Spekulant Nick Leeson wird am Frankfurter Flughafen festgenommen – doch die Briten wollen ihn gar nicht haben / Singapur fordert jetzt seine Auslieferung ■ Von Ralf Sotscheck
Dublin (taz) – So kann man sich irren: Am Tag seiner Flucht vor acht Tagen schickte der 28jährige Börsenhändler Nick Leeson ein Fax an seinen Chef Peter Baring, dessen Bank er mit Fehlspekulationen in den Ruin getrieben hatte. Darin listete er sämtliche Transaktionen auf, die er in der Barings- Niederlassung in Singapur vorgenommen hatte, entschuldigte sich bei Peter Baring und schloß mit der Vermutung, daß „wir uns nie wiedersehen werden“.
Gestern wurde Leeson vom Bundesgrenzschutz festgenommen, nachdem er mit einer Maschine der Royal Brunei Airline über Bangkok und Abu Dhabi in Frankfurt gelandet war. Er war in Begleitung seiner Frau Lisa. Beide benutzten ihre richtigen Namen. Den entscheidenden Hinweis hatte eine malaysische Flugticket- Verkäuferin gegeben, die Leeson im Fernsehen erkannt hatte. Gegen Leeson liegt ein Haftbefehl aus Singapur wegen „Betruges und Untreue“ vor. Das Auslieferungsverfahren kann jedoch Monate dauern – es sei denn, Leeson läßt sich freiwillig nach Singapur zurückschicken. Großbritannien, wo die Barings Bank ihren Hauptsitz hat, wird dagegen wohl keinen Auslieferungsantrag stellen: Leeson habe dort gegen kein Gesetz verstoßen, sagte eine Sprecherin von Interpol in Großbritannien.
Die Frage ist, was man ihm in Singapur vorzuwerfen hat. Soweit bis jetzt bekannt ist, war Leeson im Auftrag der Bank im Arbitragegeschäft tätig, wobei er Preisunterschiede an den Börsen von Tokio, Osaka und Singapur ausnutzte. In Börsenkreisen in London und Singapur heißt es, daß Leeson erst mit den selbstmörderischen Derivatgeschäften begann, als er bei seinen offiziellen Deals hohe Verluste eingefahren hatte. Fest steht, daß das Sicherheitssystem der Bank kläglich versagt hat. Darüber hinaus trug das Londoner Stammhaus zur Multiplikation der Verluste erheblich bei: Nachdem man im Januar von den Problemen erfahren hatte, überwies man 70 Millionen Pfund, um die sinkenden Derivate zu stützen – mit dem Kauf weiterer Derivate.
Die Barings Bank soll bereits in den nächsten Tagen verkauft werden, gaben die Zwangsverwalter der Firma Ernst and Young gestern bekannt. Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, daß potentielle Käufer das Risiko eingehen, die Bank in einem Stück zu erwerben. Die Ungewißheit über die Höhe der Verluste ist zu groß. Bisher ist von umgerechnet 1,8 Milliarden Mark die Rede, doch bei Warentermingeschäften besteht die Gefahr, daß die Verluste sich vervielfachen können. Darüber hinaus bereiten führende US- amerikanische Anwaltskanzleien im Namen zahlreicher Investoren Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe vor. Sie werfen der Bank Nachlässigkeit vor, da die Investmentfonds nicht von den Geldern getrennt wurden, mit denen Leeson im Auftrag der Bank spekulierte.
Besonders hart trifft der Barings-Untergang zahlreiche Einleger bei Lloyds, die aufgrund der Lloyds-Verluste in den vergangenen drei Jahren Riesensummen einschießen mußten. Viele von ihnen hatten ihr Restvermögen bei Barings angelegt, wo sie es für sicher aufgehoben hielten. Einer von ihnen, Michael Stearn, sagte: „Ich habe mich an zwei der renommiertesten britischen Institutionen beteiligt und alles verloren. Das beweist, daß niemand sicher ist.“ Ein Sprecher der Zwangsverwalter sagte, es sei unwahrscheinlich, daß die Inhaber von Sparkonten ihr Geld jemals wiedersehen werden. „In diesem Falle“, so kündigte ein leitender Angestellter bei Lloyds an, „behalten wir uns das Recht vor, uns an seine anderen Vermögenswerte zu halten.“
Singapur hat inzwischen die Auslieferung Leesons beantragt. Die Behörden werfen ihm Betrug und Fälschung vor.
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