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„Falsche Debatte zur falschen Zeit“

Juristen und Rechtspolitiker wenden sich bei einer SPD-Tagung gegen eine Amnestie für DDR-Unrecht / Aber sie wollen eine Verjährung minderschwerer Straftaten  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Berlins Justizsenatorin Lore Peschel-Gutzeit hat's im Neuen Deutschland nachgelesen: Dort forderte vor wenigen Tagen ein Verein namens „Ostdeutsches Kuratorium“ Straffreiheit für alle „Handlungen, die in Ausübung hoheitlicher Aufgaben der DDR erfolgten oder teilungsbedingt waren“. Ein Ärgernis, das offensichtlich nachwirkt. Anderenfalls hätte es die Senatorin gestern kaum zur Sprache gebracht. Im Rahmen einer hochkarätigen Fachtagung der SPD-Bundestagsfraktion „zur justitiellen Aufarbeitung des DDR-Unrechts und zum Umgang mit den Stasi- Akten“ weist Peschel-Gutzeit das Ansinnen des weitgehend unbekannten Kuratoriums zurück: „Falsche Debatte zur falschen Zeit“. Ein Schlußstrich „zum jetzigen Zeitpunkt“ würde nur Verdrängung, nicht Klärung bringen.

Der Teufel steckt wie häufig im Detail. Er trägt bei dieser Tagung in Berlin die Namen „minderschwere Straftat“, „schweres Delikt“ oder „Kapitalverbrechen“, für die gesetzlich unterschiedliche Verjährungsfristen festgeschrieben sind. Die „Bagatell-Delikte“ werden Ende des Jahres verjährt sein, wenn der Gesetzgeber nicht tätig wird. Dafür spricht wenig. Peschel-Gutzeit liegt im Mainstream der Rechtspolitik, wenn sie fordert, „daß Ende 1995 die Delikte, die es betrifft, verjähren sollen“. Die Verjährung entspreche dem Grundsatz der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Und dieser dürfe „auch in besonderen Zeiten nicht ganz in den Hintergrund gedrängt werden“.

Zu denen, die widersprechen, gehören die Opferverbände. Jörg Büttner, Vorsitzender des „Bundes der stalinistisch Verfolgten“, klagt: „Das Interesse gilt der Integration der Täter.“ Im dritten Stock des Preußischen Landtages verlangt auch der Vorsitzende der „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“, Klaus Schmidt, die Verjährungsfristen zu verlängern – wenigstens „bis alle Stasi-Akten erschlossen und von den Betroffenen gelesen“ worden sind.

Unterfüttert wird die Tagung mit Zahlen zum Stand der justitiellen Aufarbeitung. Der Berliner Generalstaatsanwalt Christoph Schaefgen berichtet von 15.200 Ermittlungsverfahren, die seit dem Tag der Einheit eingeleitet wurden. In 350 Fällen wurde Anklage erhoben, 54mal wegen Totschlags an der deutsch-deutschen Grenze, 42mal wegen Rechtsbeugung, 36mal wegen Wirtschaftdelikten.

73 Anklagen gab es in Thüringen. Das berichtet der dortige Justizminister Otto Kretschmer. Wie Schaefgen begrüßt er, daß die „Bagatell-Delikte“ verjähren sollen. Sie werden in ihren Behörden ohnehin kaum verfolgt. Die Staatsanwälte konzentrieren sich auf schwerwiegende Straftaten. Für eine Fristverlängerung sieht Schaefgen daher „keinen Handlungsbedarf“. Einem „Straffreiheitsgesetz“ wollen beide das Wort nicht reden. Kretschmer: „Gegen Teile der Bevölkerung ist eine Amnestie schwer vorstellbar“.

Anders Erardo Rautenberg, Leitender Oberstaatsanwalt in Neuruppin. Er fordert ein „begrenztes Straffreiheitsgesetz“, unter das etwa die Wahlfälschungen fallen sollten. Beherzt schlägt der Mann um sich. Den Unrechtsstaat zur Zufriedenheit seiner Opfer aufarbeiten? Utopie. Die Übeltäter der Stasi wegen ihrer Telefonüberwachungen aburteilen? Nicht zu machen, war in der DDR nicht strafbar. Der Katalog der zu verfolgenden Straftaten schrumpft bei Rautenberg auf Tötungsdelikte, Körperverletzungen im Amt, Rechtsbeugungen und Freiheitsberaubungen zusammen. Die allerdings will er konsequent angeklagt sehen. Wolfgang Gast

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