Lüften auf Teufel komm raus

Debatte um Schadstoffe in Biofarben verunsichert Verbraucher / Selber mischen vermeidet hohe Kosten und Kopfschmerzen, bedarf aber einiger Übung / Bier auf Holz hat sich bewährt  ■ Von Henrik Mortsiefer

Verunsichert von der jüngst entfachten Debatte um Schadstoffe in Naturfarben mag sich manch naturliebender Heimwerker wieder fragen, womit er denn noch pinseln darf. So neu ist die Diskussion allerdings nicht, denn schon länger bereiten vor allem Lösungsmittel in Bio-Lacken und -Lasuren Herstellern, Händlern und Kunden buchstäblich Kopfschmerzen. Selbst die natürlichen Alternativen zum herkömmlichen Kohlenwasserstoff sind nicht frei von Risiken für die Umwelt und die eigene Gesundheit.

Abgesehen von einiger Konfusion bei den korrekten Stoffbezeichnungen, ist man sich weitgehend einig, daß etwa die großzügige Verwendung von Balsamterpentinöl nicht ungefährlich ist. Dennoch mixen einige große Biofarben-Produzenten noch mit dem Kieferharzextrakt. „Wir sehen das sehr kritisch, weil Leute allergisch reagieren und über Kopfschmerzen klagen“, räumt Biofarben- Händler Wolfgang Güse ein.

Viele Hersteller setzen deshalb auf sogenannte Iso-Aliphate: hochgereinigtes und von Aromaten befreites Benzin, das – man höre und staune – große Erdölkonzerne liefern. Lacktechnisch wird auch von „Kristallöl“ gesprochen. Das Lösungsmittel riecht nicht und wird daher für ungefährlich gehalten. Hans-Kurt von Eicken, Leiter des Schöneberger „Centrums für Baubiologie und Ökologie“ (CeBÖ), mahnt dennoch zur Vorsicht, denn der Stoff kann theoretisch ein Gemisch aus Hunderten von Substanzen sein, von denen einige krebserregend sind. „Die Hersteller prüfen das nicht und können nicht sagen, um welches der verschiedenen Iso-Aliphate es sich handelt“, so von Eicken.

Riskant wird es immer dann, wenn im Produktionsprozeß Moleküle verändert werden und neue Stoffe entstehen, deren Reaktionsweise noch unbekannt ist. „Das kann vermieden werden“, meint Farbenhändler Güse, „wenn in geschlossenen Kreisläufen nach den Regeln der sanften Chemie produziert wird.“ Um sicher zu gehen, rät Baubiologe von Eicken zum „Lüften auf Teufel komm raus“.

Gleiches gilt für Farben, die in Zitrusschalenöl gelöst sind. Nicht alles, was nach Natur riecht, dient auch der Gesundheit. Wie alle Lösungsmittel besitzt auch Zitrusschalenöl die Fähigkeit, Fette abzulösen. „Wenn das dann im Gehirn passiert, ist das weniger erfreulich“, so von Eicken. Trotzdem empfiehlt er mitunter CeBÖ-Seminarteilnehmern, die mit Naturfarben renovieren wollen, aber strapazierfähige Bodenlacke benötigen, konventionellen Alkydharzlack. Öko-Lacke, die nicht so hart sind wie synthetische, enthalten zwar weniger Lösungsmittel, das Gift verdampft aber auch langsamer. Von Eicken pragmatisch: „Lieber drei bis vier Wochen als Monate oder Jahre mit Lösungsmitteln in der Atemluft leben.“

Heide Barthelmes von der Berliner Verbraucherzentrale will ebenfalls keine Patentrezepte geben. „Wir orientieren unsere Beratung an den individuellen Umständen und sind nicht generell für oder gegen Naturfarben. Das Schimpfen auf die chemische Farbenindustrie ist unredlich, solange keine unbedenklichen Alternativstoffe angeboten werden.“ In vielen Fällen, so bei Haushalten mit Kindern oder Allergikern, empfiehlt sie aber den Gebrauch von Öko-Farben.

Die umweltbewußte Farbenlehre bietet trotz aller Kritik eine breite Palette von Mischkonzepten an, die ganz ohne Lösungsmittel auskommen. In Kaseinfarben etwa, die sich für Wände und Fassaden eignen, sind sie völlig überflüssig. Kasein ist vor allem im Magerquark enthalten, und der läßt sich bekanntlich mit Wasser lösen. Für Holzlasuren hat sich ein Gemisch aus Bier (!) und Pigment bewährt, Fußböden müssen nicht lackiert werden, wenn Pigmente mit Leinöl gemischt oder Wachse verwendet werden.

Gesundheit läßt sich teuer verkaufen, das haben auch die Naturfarbenhersteller verstanden, die komfortable Komplettfarben anbieten. Wer selber Hand anlegen will, mischt sich nach Bedarf die eigenen Farben und kann so Konservierungsstoffe, Lösungsmittel und nicht zuletzt Geld einsparen. Anfänger sollten den Mut nicht verlieren, denn die Eigenproduktion bedarf einiger Übung. „Viele kommen von Naturfarben ab“, so Hans-Kurt von Eicken, „weil sie die Produkte nicht richtig anwenden. Es heißt dann leider, die Farben seien daran schuld.“