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Die blaue Tür mit der Nummer sieben Von Ralf Sotscheck

Am Morgen des 16. Juni Anno Domini 1904 zog der 38jährige Anzeigenverkäufer Leopold Bloom die Tür seines Hause in der Eccles Street Nummer 7 hinter sich zu. Er ging an Larry O'Rourkes Kneipe vorbei und kaufte in Dlugaczs Metzgerei eine Niere. Auf dem Weg kam ihm in den Sinn, daß es „ein ganz schönes Geduldspiel wäre, quer durch Dublin, ohne an einer Kneipe vorbei“. Blooms achtzehn Meilen lange Odyssee durch die irische Hauptstadt, die James Joyce in seinem Jahrhundertwerk „Ulysses“ beschrieben hat, lockt die Fans des Schriftstellers jedes Jahr am „Bloomsday“ nach Dublin.

Die blaue Tür mit der Nummer sieben, hinter der der längste Tag der Weltliteratur begann, hängt freilich schon lange nicht mehr in der Eccles Street. Der Straßenzug gehörte dem katholischen Orden der Sisters of Mercy. 1967 ließen die unbarmherzigen Schwestern die Häuser abreißen, weil sie den Privattrakt ihres Mater-Krankenhauses erweitern wollten. Die berühmte Tür überlebte jedoch: John Ryan, der 1962 den „Bloomsday“ als Nationalfeiertag für Joyceaner erfand, riß sich die Tür für seine Kneipe – The Bailey in der Duke Street – unter den Nagel. Bei den Verhandlungen mit dem Orden war Fingerspitzengefühl vonnöten: Als er Joyce erwähnte, fragte die Oberschwester entsetzt: „Ist das etwa der heidnische Schriftsteller?“ Ryan rettete die Situation, indem er sein Scheckbuch zückte und scheinheilig sagte: „Mir ist zu Ohren gekommen, daß ihr Orden zur Zeit etwas Schwierigkeiten im missionarischen Bereich hat.“

Bei der feierlichen Installierung der Tür im Bailey rief der Dichter Patrick Kavanagh: „Hiermit erkläre ich diese heilige Tür für unwiderruflich geschlossen!“ Die Tür ließ das Ansehen der Kneipe in den Augen der Joyce-Irren über Nacht steigen. Bis dahin hatte zu Ryans Kummer die Kneipe von Davy Byrne auf der anderen Straßenseite das Joyce-Geschäft dominiert, weil sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Bailey hatte: Sie wird im „Ulysses“ ausdrücklich erwähnt. Mit Blooms Haustür wandelte sich das Blatt. Seit 1988 begann im Treppenhaus vom Bailey's sogar der „Literary Pub Crawl“, jene feucht-fröhliche Kneipenbegehung, die wohl weltweit ihresgleichen sucht. Eine ganze Reihe irischer Schriftsteller war nämlich genauso trink- wie schreibfreudig und hat ihren Lieblingskneipen literarische Denkmäler gesetzt.

Leopold Blooms Haustür wird demnächst wieder auf Reisen gehen: The Bailey muß der Erweiterung eines Kaufhauses weichen und wird in den nächsten Tagen abgerissen. Das Dubliner Bauamt hat der englischen Warenhauskette eine Auflage gemacht, bevor es das Millionenprojekt absegnete: Die Tür muß „bewahrt und an geeignetem Ort neu installiert“ werden.

Wie wäre es mit Leopold Blooms fiktivem Geburtshaus in der Clanbrassil Street, Dublins ältestem Arbeiterviertel? Dort ist der Romanheld längst zu einem Menschen aus Fleisch und Blut geworden. „Meine Schwester hat früher den Kamin für seine Mutter geheizt“, behauptete ein Rentner, als die Stadtverwaltung vor ein paar Jahren zur Förderung des Joyce- Tourismus eine Plakette an dem Haus anbringen ließ. „Sie war sehr religiös, und der Herr Bloom hing sehr an ihr.“

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