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■ Nebensachen aus WashingtonDie Hauptstadt ist schön!

Es gab eigentlich überhaupt keinen Grund, mißmutig zu sein. Den ganzen Tag hatte die Sonne geschienen, der Schnee war prächtig, die Warteschlangen am Lift kaum länger als ein Regenwurm. Lediglich der Shuttle, der die Skitouristen samt Brettern vom Lift zum Parkplatz des Taos Ski Valley chauffieren soll, hatte etwas Verspätung. Doch bevor sich auch nur ein Hauch von schlechter Laune zwischen Winterluft und Autoabgase mischen konnte, baute sich der Shuttle- Schaffner vor der Kundschaft auf und signalisierte mit seinen gut trainierten Smile-Muskeln, daß er sich großartig fühlt und wir gar keine andere Chance haben, als es ihm gleich zu tun. „Wo kommen Sie denn her?“ fragte er in die erste Reihe.

„Brooklyn“, flötet die Dame hinter mir.

„Ist ja großartig“, exklamierte der Shuttle-Schaffner, als hätte er seine verschollene Schwester entdeckt. „Und Sie?“

„Westchester County“, sprach würdevoll ein älterer Herr zu meiner Rechten.

„Toll“, begeisterte sich unser Schaffner und trat zu mir. „Und Sie?“

„Ich komme aus Washington.“

Betretenes Schweigen. „Mordhauptstadt“, zischelte es von rechts. „Haben sie da nicht diesen Kokser wieder zum Bürgermeister gewählt?“ tönte es aus der hinteren Reihe. Der Shuttle-Schaffner versuchte, den Fröhlichkeitspegel wieder nach oben zu treiben. „Hey“, meldete er triumphierend, „irgendwo habe ich gelesen, daß Washington gestern Bankrott angemeldet hat.“ Endlich kam der Bus. Ich stieg innerlich zerknirscht, aber trotzig erhobenen Hauptes ein.

Dabei hätte es noch viel schlimmer kommen können. Ein Kollege vom Lokalfernsehen wurde bei seinem Urlaubsantritt in Florida mit den Worten begrüßt: „Ach, aus Washington kommen Sie? Dann arbeiten Sie entweder für die Bundesregierung oder Sie leben von der Sozialhilfe.“ Wobei nicht ganz klar ist, welche Daseinsform die Leute in Florida für verwerflicher halten. Washington jedenfalls besteht in ihren Augen vornehmlich aus unfähigen oder böswilligen Politikern, ebenso fähigen wie böswilligen Drogendealern sowie einem Bürgermeister, dessen Ruhm nationale Grenzen überschritt, nachdem ihn die Polizei beim Inhalieren aus einer Crackpfeife gefilmt hatte. Seitdem kennen sogar die kolumbianischen Koka-Bauern den Namen Marion Barry.

Es ist also für Washingtoner gar nicht so einfach, die Reputation ihrer Stadt aufzupolieren. Immerhin, den Wanderpokal für die Stadt mit der größten Mordrate haben wir inzwischen weitergegeben. An New Orleans, wenn ich mich recht erinnere. Unser Basketballteam trägt zwar weiterhin den fatalen Namen „Bullets“, hat aber immerhin die letzten beiden Spiele gewonnen. Und mit Marion Barry wurde ein Mann zum Bürgermeister wiedergewählt, der sich kompetent wie kaum ein anderer zum Thema „Drogenabhängigkeit“ äußern kann.

Außerdem ist es hier nicht so hektisch wie in New York, nicht (ganz) so schwül wie in New Orleans. Es gibt keine Erdbeben, dafür aber ein nationales Luft- und Raumfahrtmuseum, ein paar gute Kinos und Kneipen, sowie den Atlantik in Reichweite.

All das hätte ich meinen ignoranten Skifahrern in Taos erwidern können. „Warum“, fragte meine Freundin Clarice, „hast du denen nicht einfach erzählt, daß du aus Germany kommst? Dann wären sie ganz glücklich gewesen und hätten dir wahrscheinlich zu den Alpen und zur Vereinigung gratuliert.“ Ich wollte eben nicht. Ich stehe zu Washington. Und in Westchester County möchte ich noch nicht mal als Bild hängen. Andrea Böhm

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