: Nötigung oder nötig?
■ Eineinhalb Jahre nach der Olympia-Pleite wird Judith Demba wegen des umstrittenen Anti-Olympia-Videos der Prozeß gemacht / IOC-Mitglied als Zeuge?
Die Olympiagegner der Stadt, so befand vor zwei Wochen der Senat in seinem olympischen Abschlußbericht, hätten wesentlich zum Scheitern der Berliner Bewerbung beigetragen. Welche Rolle der Regierende Bürgermeister Diepgen und die dilettierende Olympia-GmbH selbst bei der Entscheidung gegen Berlin gespielt haben, wurde freilich nicht erörtert. Wer das olympische Komittee für oder gegen die Berliner Bewerbung genötigt hat, könnte dagegen morgen vor dem Landgericht während des Prozesses gegen Judith Demba erörtert werden. Der bündnisgrünen Abgeordneten wird vorgeworfen, im Januar 1993 dem IOC in Lausanne den umstrittenen Anti-Olympiafilm der NOlympioniken übergeben und sich damit der Nötigung schuldig gemacht zu haben. „Der Videofilm enthält“, so die Anklageschrift, „gegen Ende eine Passage, in der eine vermummte Person gezeigt wird, die dem Betrachter den erhobenen Mittelfinger der linken Hand entgegenstreckt und mit der rechten Hand einen pflastersteinartigen Gegenstand mehrfach in die Höhe wirft und wieder auffängt. Dazu wird in englischer Sprache gesagt: ,Kommt nur, wir warten auf euch.‘“
Der Tatbestand der Nötigung, findet die Staatsanwaltschaft, sei gegeben, weil die Übergabe des Films an das IOC in der Absicht erfolgt sei, „die Mitglieder des IOC durch Drohung mit Gewalt zu beeinflussen, gegen Berlin als Austragungsort der Olympischen Spiele im Jahr 2000 zu stimmen.“
Dabei war es die Unfähigkeit der Olympia-GmbH, die es den Olympiagegnern in Lausanne ermöglicht hatte, dem offiziellen Bewerberteam die Schau zu stehlen. Noch bevor die offizielle Berliner Delegation dem IOC die Bewerbung übergeben konnte, war bereits eine Gruppe von Olympiagegnern, darunter Judith Demba, im Hotel, um den Herren der Ringe eine Pressemappe, einen Brief sowie das Anti-Olympia-Video zu übergeben. Einzig und allein einem Pressesprecher der Olympia-GmbH, Heinzmann, war es geschuldet, daß die Gruppe nicht bis Samaranch persönlich vordrang. Heinzmann erkannte Demba – und petzte.
Die ursprünglich als Vorwurf geäußerte mutmaßliche Beteiligung von Demba an der Herstellung des Videos steht nicht zur Verhandlung. Um zu beweisen, daß die IOC-Mitglieder durchaus selbständig entscheiden können, will die Verteidigung nun, daß der Chef der IOC-Prüfungskommission, Ericson, als Zeuge geladen wird. Der Schwede Ericson hatte bei seiner Berliner Stippvisite im August 1993 vor seinem Termin mit der Olympia-GmbH die Berliner Olympia-Gegner, darunter Judith Demba gesprochen. Sollte Ericson tatsächlich kommen, könnte endlich das große Geheimnis gelüftet werden, was das IOC mehr beeindruckte – der Dilettantismus der Olympia-GmbH oder der Aktivismus der NOlympioniken. Uwe Rada
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