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Ein, zwei, viele Geburtstage

■ Warum es so schwer ist, Eric Rohmer zum Fünfundsiebzigsten zu gratulieren

Daß er gar nicht Rohmer heißt, wissen wir mittlerweile ja. Jedes Portrait, jeder Geburtstagsartikel und jeder Lexikoneintrag verrät, daß der Filmemacher Eric Rohmer „eigentlich“ Maurice Schrer oder, noch vollständiger, Jean-Marie Maurice Schrer heißt und daß er 1920 in Nancy geboren wurde. Manchmal ist auch zu lesen, er sei elsässischer Herkunft; die deutsche Ausgabe seiner Filmerzählungen „Meine Nacht bei Maud“ verzeichnet als Geburtsort hübsch vage das „Departement Meurthe- et-Moselle in Ostfrankreich“. Fest steht jedenfalls nur sein „eigentlicher“ Name.

Der Rest ist ein Verwirrspiel. „Die sieben Zufälle“ hieß sein letzter Film „Der Baum, der Bürgermeister und die Mediathek“ mit deutschem Untertitel, und ähnliche Zufälle führten mich vor ein paar Tagen ins Labyrinth der Rohmerschen Lebensdaten. Am Anfang stand der Auftrag einer Rundfunkanstalt, zum 75. Geburstag des Meisters der Nouvelle Vague ein Portrait zu liefern, am 21. März. So steht es in den Blättern des „Munzinger“-Archivs mit den Daten berühmter Leute. Aber ein Blick in mein amerikanisches Filmlexikon, den immer zuverlässigen „Katz“, machte mich stutzig: Dort ist der Autor der „Moralischen Erzählungen“, der Filmzyklen „Komödien und Sprichwörter“ und „Vier Jahreszeiten“ am 4. April geboren, das gleiche Datum vermerken auch die meisten französischen Filmlexika. Das Zeitungsarchiv der Berliner Filmbibliothek bot noch mehr Auswahl, so feiern die Frankfurter Rundschau und die Frankfurter Allgemeine Rohmers runde Geburtstage mit schöner Regelmäßigkeit am 1. Dezember, seit mindestens 15 Jahren. In manchen Publikationen ist er gar erst 1923 geboren. Rohmer, ein Phantom? Oder eine Diva? Ein Star, der sich wie die Monroe oder die Dietrich aus Gründen der Mythenpflege für die Biographen verjüngt?

Wohl kaum, bedenkt man die Liebe seiner Filme zu den jungen Frauen und zu den Mädchen, eine Liebe, die im Gegensatz zu Polanski, Louis Malle oder neuerdings auch Tavernier so gar nichts Altherrenmäßiges an sich hat. Rohmer ist bis heute in die Schönheit vernarrt, und das zeigt er so uneitel und ehrlich wie kein anderer, weshalb sollte er also sein Alter verheimlichen? Andererseits: Kino ist die Kunst des Lügens, des Eigensinns und der Irritation. Artikel über Rohmer tragen Überschriften wie „Ich selber glaube gar nichts“ oder „Prinzipien, die erschüttert werden“ oder „Gesellschaftsspiele“. Also weiter im Text. Ein Anruf bei Rohmers Pariser Produktionsfirma provozierte Heiterkeit am anderen Ende der Leitung: „Rohmers Geburtstag? War gestern, am 1. März.“ Die müssen es ja wissen. Warum aber würdigte zum Monatsbeginn keine französische Zeitung den Jubilar? Also noch eine Nachfrage, bei den Cahiers du cinéma, die Rohmer vor über 30 Jahren als Chefredakteur leitete: Das Organ der Nouvelle Vague muß es ja ebenfalls wissen. Dachte ich. Seitdem weiß ich nichts mehr: Nein, so die Auskunft aus berufenem Munde, März ist falsch, in den Cahiers hat Rohmer seit Jahrzehnten am 4. April Geburstag, und so wird es auch zum 75. sein.

Rohmer hat seine Filme immer demokratisch organisiert und seinen Figuren die größtmögliche Freiheit gelassen. Der Großaufnahme zieht er die Halbtotale vor, weil darin alle ins Bild passen. Warum sich also auf einen Tag beschränken? Warum irgendeinen uralten Irrtum besserwisserisch aufklären? Warum nicht zwei-, drei-, fünfmal im Jahr Hommagen bekommen, feiern, anstoßen? Vielleicht hat Rohmer beschlossen und seine Mitarbeiter um entsprechende Auskünfte angehalten: Dieses Jahr ist es der 1. März. Schließlich hat jeder das Recht auf viele Geburtstage. Rohmers Geburtstag: ein Spiel, eine Konfusion, heiter und leicht, fast wie im Film. Fest steht nur: Sein Regisseur heißt Maurice Schrer. Wir gratulieren. Christiane Peitz

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