Auferstanden als Ruine

Was hast du getan, John? – Das zweite Leben des John Travolta nach „Pulp Fiction“  ■ Von Martin Amis

Mit Anfang zwanzig war Travolta der größte Star der Welt. Jeder wollte ihn für alles. „Es hätte die Rolle einer 80jährigen sein können“, wunderte sich seine Ex- Freundin, „man hätte sie John angeboten.“ Mit Mitte dreißig war John Travolta ein Vakuum, verloren in Hollywoods Intergalaxis („Travolta“ heißt übrigens „auf den Kopf gestellt“, „umgehauhen“). Nun ist er vierzig, und mit seiner Karriere ist etwas geschehen, für das das Busineß kaum ein Wort hat. „Comeback“ trifft es nicht. Dies hier schnellte vom absoluten Nullpunkt zu etwas, was man früher Würde nannte.

Was war geschehen? Die Antwort ist, natürlich, „Pulp Fiction“. Die letzte Etappe in dieser durch und durch amerikanischen Geschichte hat etwas mit der Postmoderne zu tun – und mit Scientology. Wie betrunken war F. Scott Fitzgerald, als er sagte, es gäbe keine zweiten Akte in amerikanischen Biographien?

Es ist fast genau zwei Jahre her, da hatte John Travolta nur noch einen Film in Aussicht. Es war „Guck mal wer da spricht 3“, der mit den sprechenden Hunden. Man kann sich Travolta vorstellen, wie er in seinem ChÛteau in Maine, dem Zweitwohnsitz in Daytona Beach, Florida oder im Cockpit eines seiner drei Flugzeuge zwischen diesen Häusern hin- und herjettete, und dachte „Hunde“. Hunde. Es war nämlich so, daß Travolta damals unendlich reich und fett und glücklich mit seinem Privatleben war, mit seiner Frau, der Schauspielerin Kelly Preston, und seinem Sohn, klein Jett. Aber er sollte einen Film über Hunde machen. Hunde. „Es ist vorbei, dachte ich damals“.

Die Reliquie mit der kaputten Karriere

Aber dann tauchte das Gerücht auf, Quentin Tarantino, the hottest guy in town, wollte ein Treffen mit John Travolta, der Reliquie mit der kaputten Karriere. Das Treffen dauerte zwölf Stunden. Sie redeten, sie tranken ein Glas Wein, gingen etwas essen, kamen wieder und spielten Tarantinos Filmbuff- Computerspiele. „Und dann“, erzählt Travolta, „hat Quentin es mir gegeben. Er sagte, ,Was zum Teufel hast du eigentlich getan? Erinnerst du dich, was Pauline Kael (Filmkritikerin des New Yorker) über dich gesagt hat? Was Truffaut über dich gesagt hat? Was du für das amerikanische Kino bedeutest? John, was hast du getan?‘ Ich war verletzt, aber auch gerührt. Ich lief da raus mit eingezogenem Schwanz. Ich fand keine Worte, war völlig am Boden zerstört. Aber ich dachte auch: Jesus, ich muß ein verdammt guter Schauspieler gewesen sein.“

Tarantinos Frage steht immer noch unbeantwortet im Raum: Was hat Travolta getan? 1980 hatte er drei Filme gemacht, die ihn direkt zur Pop Ikone hinaufbeamten. Man erinnert sie als Filmstills: Als himmelwärts erigierte Figur im Disco-Stroboskop in „Saturday Night Fever“, mit der Art von Hemd, das die Brustwarzen wie Plasma-Flecken aussehen läßt, auf backsteinartig hohen Absätzen. Als Rocker in „Grease“, mit der Zigarette in einem Winkel seines umwerfenden Lächelns, die Augen bloße Schlitze, Coolness nach Vorschrift. Und dann, in „Urban Cowboy“, das stolze, verwirrte, romantisch ausgeleuchtete Profil unter dem steifen Rand der Schlägermütze.

Es waren nicht nur die good looks und das gute Licht, was diesen Bildern ihre Dauerhaftigkeit verleiht. Diese Filme bilden eine Trilogie, in denen Travolta komplette Vorstellungen davon abliefert, was maskuline Jugend ist, aus der Perspektive des knapp Entronnenen. In seinen verhaltenen Grimassen, den starren Blicken, der trotzigen Unsicherheit, den Falten auf der Stirn kommentiert Travolta, was es heißt, ein Halbstarker zu sein. Dann die Übergangsphase mit„Blow Out“ (1981), einem überinszenierten und gottserbärmlich konzipierten Film von Brian de Palma (der Travolta 1976 zu „Carrie“ geholt hatte, und dessen Karriere einen ähnlichen Verlauf nehmen sollte). Obwohl dieser Film wie eine gerupfte Krähe daherkam, die Billigversion eines Antonioni-Hitchcock-Gemischs, mit lauter Ungereimtheiten – trotzdem war „Blow Out“ für Travolta eine naheliegende Wahl: er war 27 und bereit, sein amerikanisch-italienisches Erbe anzutreten. Pauline Kael verglich ihn mit Brando in „On the Waterfront“, und allgemein rechnete man damit, daß er demnächst mit Leuten wie Francis Coppola und Martin Scorsese arbeiten würde. Statt dessen fiel er Sylvester Stallone in die Arme – mit fatalen Folgen.

Loyal wie er ist, hat Travolta selbst das nie so gesehen. Seiner Ansicht nach ist er schlicht auf mehr oder weniger natürliche Weise von einer neuen Star-Generation ersetzt worden: Hanks, Cruise, Costner. Man fragt sich, worin eigentlich die ursprüngliche Attraktivität bestand; Stallone ist selbstverständlich auch eine Ikone. Rambo, das letale Fleischpaket, Rocky, der mit seinem Hund draußen joggen geht. Hunde waren es auch, mit denen Travolta von 1982 an auftrat, und zwar ausschließlich Hunde. Im Laufe eines einzigen Jahres trat er in Stallones „Fever“- Nachfolger „Staying Alive“ auf, einem charmelos-deftigen Hurra auf Body Building, gefolgt von „Two of a Kind“ mit Olivia Newton- John, einem der schlechtesten Filme, die je gemacht wurden, mit Oliver Reed als Teufel.

„Get Shorty“, der Film, an dem Travolta jetzt arbeitet, bietet ihm eine Rolle, die sich seine Mutter nicht besser hätte ausdenken können: die Rolle von Chili Palmer, einem Kredithai aus Miami, der sich mit dem Gedanken trägt, Filme zu machen. „Ich habe es zuerst abgelehnt“, sagt Travolta. „Du hast was?“, frage ich entgeistert. „Ich habe es abgelehnt. Dann hat Quentin angerufen und gesagt: 'Das ist nicht der Film, zu dem du nein sagst, das ist der, zu dem du ja sagst. Ich werde nicht zulassen, daß du diesen Fehler machst.' Travolta hat nicht zu knapp Gewicht für diese Rolle verloren. „Auch das war Quentin. Er hat gesagt: Nimm etwa 15 Pfund ab. Ich habe exakt 15 Pfund abgenommen.“

Als er „Pulp Fiction“ schrieb, muß Tarantino geahnt haben, daß Travolta kein „Comeback“ in irgendeinem konventionellen Sinn haben könnte. Diese Wiedergeburt würde eine Art Travestie sein müssen. Deshalb mußte das körperlich grazile, aber emotional linkische Kalb aus den Disco-Filmen wieder auftauchen als korrumpierte, zähe Ruine. Deshalb ist die Tanzszene mit Uma Thurman in „Pulp Fiction“ so zentral: Jeder Kinogänger weiß, was Travolta auf der Tanzfläche kann. Wenn man ihm zusieht, wie er völlig zugeknallt seine Kreise zieht, ist es, als würde man den gealterten Picasso ein Strichmännchen malen sehen. „Stephanie“, fragt er als Tony in „Saturday Night Fever“, „Bin ich interessant oder intelligent“? Tarantino liefert die herzlose – und zeitgemäße – Antwort auf diese uralte amerikanische Frage. Alles, was Vincent nach drei Jahren Europa weiß, ist, wie man auf Französisch einen Big Mac bestellt.

Des Volkes Prinz aus New Jersey

„Get Shorty“ läßt sich ziemlich gut an. Wenn Hollywood voller Schwindler ist, wenn Filme von Gaunern gemacht werden, warum soll dann nicht ein Gauner einen Film machen? Chili Palmer, ein Ex-Mafioso und ein Shylock, der 150 Prozent auf seine Kredite nimmt, verfolgt einen Schuldner bis nach Hollywood und bleibt dort hängen. Auf dem Set ist Travolta ein Prinz, der sich unter seine Untertanen mischt. Am Tag zuvor hatte der Regieassistent die Statisten gewarnt, sie würden gefeuert, wenn noch einer Travolta nach einem Autogramm fragen würde. „Oh nein“, sagte Travolta, „hier wird niemand gefeuert“, und unterschrieb weiter. „Wie kommt es,“ frage ich ihn, „daß du so ein Star des kleinen Mannes geworden bist? Die Leute behandeln dich, als lebtest du immer noch mit deinen Brüdern und Schwestern in Inglewood, New Jersey.“ „Es funktioniert genau andersrum“, sagt Travolta, „weißt du, eben dieses uramerikanische ,mach deinen Traum wahr‘. Die Leute wollen gar nicht, daß man bescheiden ist.“

Und was ist mit Scientology, wo Travolta seit Jahren Mitglied ist? Seine Interpretation ist, daß Scientology eine völlig harmlose, fast schon langweilig harmlose, solide Angelegenheit, eine Art Selbsthilfe-Netzwerk für Kumpels mit dem Schwerpunkt gemeindenaher Therapie. Manche Menschen fühlten sich eben zur Religion hingezogen, und darum ginge es bei Scientology, ganz offiziell, steuerlich absetzbar; es geht nicht um die Suche nach Gott, sondern um einen Gruppenzusammenhang. Scientology, so Travolta, ist weltlich. „Sie bringen dir bei, wie du die Miete bezahlst und nicht verrückt wirst. Ohne sie wäre ich höchstens so alt geworden wie John Belushi.“

Nonchalant fügt Travolta zu guter letzt noch hinzu, daß man ihm gerade acht Millionen Dollar dafür angeboten hat, in einem Film mit Sharon Stone zu spielen ... In Hollywood gibt es zwei Richtungen, in die man verschwinden kann. Man sollte John Travolta nicht aus den Augen lassen.

Aus dem Englischen von Mariam Niroumand