: Utopischer Niedrigsatz
■ Die neue Kindergeldregelung entlastet Wenig- wie Spitzenverdiener
Berlin (taz) – Finanzminister Theo Waigel (CSU) und Familienministerin Claudia Nolte (CDU) sind rundum zufrieden mit ihrem Familienpaket. Je 200 Mark Kindergeld für das erste und zweite Kind sehen die Pläne der Regierungskoalition vor (bisher 70 und 130 Mark), für jedes weitere Kind sollen 300 Mark gezahlt werden (bisher 220 und ab dem vierten Kind 240 Mark). Alternativ dazu sollen Eltern künftig wählen können, ob sie statt des Kindergeldes einen erhöhten steuerlichen Freibetrag in Höhe von 6.264 Mark (bisher 4.104 Mark) in Anspruch nehmen. Und um das steuerliche Verfahren zu vereinfachen, sollen künftig nicht mehr die Arbeitsämter für die Auszahlung des Kindergelds zuständig sein. Kindergeld oder Freibetrag sollen von den Finanzämtern abgewickelt werden.
Doch welche Vorteile bringen die geplanten Erhöhungen von Kindergeld und Freibetrag nun wirklich? Ein Blick auf die derzeitigen Zahlungen, mit denen der Staat das Leben mit Kindern entlastet, zeigt große Unterschiede auf, je nachdem welches Einkommen die Eltern verdienen. Wird das Einkommen bisher mit dem niedrigsten möglichen Steuersatz von 19 Prozent versteuert, so beläuft sich die Familienentlastung bei einem Kind auf gerade mal 850 Mark jährlich. Ein utopisches Rechenbeispiel von Finanzjongleuren, denn Steuern in Höhe von 19 Prozent entrichten nur diejenigen, die im Jahr nicht mehr als 8.153 (Alleinerziehende) beziehungsweise 16.306 Mark verdienen.
Im Unterschied zu den lächerlichen 850 Mark für Geringstverdienende, die sich zur Zeit noch aus Kindergeld und Kinderfreibetrag zusammensetzen, macht die Entlastung für Spitzenverdiener bedeutend mehr aus. Alle, die ein Jahreseinkommen von 120.042 Mark und mehr verdienen und damit den Höchststeuersatz von 53 Prozent berappen müssen, erhalten derzeit eine Entlastung, die sich bei einem Kind auf 2.245 Mark beläuft.
Diese Form der Steuerungerechtigkeit für Familien mit Kindern wurde unter anderem vom Bundesverfassungsgericht moniert. Die Regierungskoalition kommt also nur dem Urteil der Karlsruher Richter nach, wenn sie jetzt ein neues Familienentlastungsmodell vorlegt. Und dieses sorgt vor allem bei niedrigsten Einkommensgruppen tatsächlich für mehr Gerechtigkeit. Liegt das jährliche Einkommen von Eltern mit einem Kind künftig bei 8.153 Mark, so sollen sie monatlich 200 Mark Kindergeld erhalten. Alle Familien mit niedrigen Einkommen profitieren im Vergleich zu heute also eindeutig von der geplanten Steuerreform.
Selbst für mittlere Einkommensgruppen lohnt sich immer noch die Entscheidung für das Kindergeld: Ein junges Ehepaar mit Kind, daß ein gemeinsames zu versteuerndes Jahreseinkommen von 70.000 Mark hat, hätte wenig davon, sich für den geplanten Steuerfreibetrag von 6.264 Mark zu entscheiden. Denn dann läge die Steuerersparnis nur bei gut 1.600 Mark pro Jahr. Das Paar würde alternativ zum Freibetrag das Kindergeld wählen, und käme damit auf eine Summe von 2.400 Mark im Jahr.
90 Prozent aller Eltern, so prognostizierte Theo Waigel schon, würden sich in Zukunft für das erhöhte Kindergeld entscheiden. Denn sie fahren damit am besten. Aber die Spitzenverdiener werden von der Regierung erneut bessergestellt. Für sie ist der Kinderfreibetrag interessanter. Wer im Jahr mehr als 120.000 Mark verdient und ein Kind versorgt, erzielt mit diesem Freibetrag pro Jahr eine Steuerersparnis von rund 3.320 Mark. Spitzenverdiener mit Kind werden somit immer noch mit rund 1.000 Mark mehr bezuschußt, als mittlere und geringe Einkommensgruppen. Warum diese erneute Steuerungerechtigkeit überhaupt sein muß, fragt sich auch die SPD. Sie plädiert daher weiterhin für die endgültige Abschaffung des steuerlichen Kinderfreibetrags und ein einheitliches Kindergeld für alle in Höhe von 250 Mark pro Kind. Karin Flothmann
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