: Eine Schule für alle, nicht für jeden
■ Eine Gesamtschule in Mülheim widerlegt alle Klischees: Zu danken ist das einem besonders engagierten Kollegium
Keine eingetretenen Türen oder zerdepperten Scheiben; selbst die auf fast allen Schulhöfen der Republik herumfliegenden Cola- Dosen sucht man vergebens. Ein Blick in die Teestube läßt den Besucher endgültig daran zweifeln, Zeuge eines ganz normalen Schultages zu sein. Wie aus dem Ei gepellt – aber keineswegs frisch renoviert – präsentiert sich der große Raum.
Sehen so deutsche Gesamtschulen von innen aus? Mit Klassenräumen, in denen die Kids des 5. Jahrgangs gerade in ruhiger Atmosphäre ihre Schulaufgaben machen und deren „Rückzugsbereiche“ eher wie kreativ gestaltete Jugendzimmer aussehen? Wer hier reinschaut, dem erscheinen die Vorwürfe gegen die Gesamtschule wie von einem anderen Stern.
Die Worte von Ulrich Sprenger, dem pensionierten Gesamtschul- Lehrer, der mit seiner Kritik seit Wochen für Schlagzeilen sorgt, klingen noch in den Ohren: „An den Gesamtschulen beobachtet man eine soziale wie auch emotionale Verwahrlosung, die zu einer abnehmenden Effektivität des Unterrichts geführt hat.“ Sind wir in der falschen Schule?
Es ist eine Gesamtschule, die Gustav-Heinemann-Schule, im Norden Mülheims gelegen – mit 1.400 Kids. Gewalt? Vandalismus? An „größere Vorfälle“ kann sich der 16jährige Schülersprecher Torben Wendte nicht erinnern. Sein Schuldirektor Peter Virnich beschreibt die Lage so: „Ja, es gibt auch bei uns manchmal Gewalt und Zerstörungen. Das kommt wie in Wellen.“ Wenn doch einmal ein Klo zerstört oder ein Steckdose aus der Wand gerissen wird, folgt die Reparatur auf dem Fuße – zumeist unter Beteiligung der Kids. Virnich, seit zwanzig Jahren Leiter der in einem reviertypischen Arbeiter- und Angestelltenviertel liegenden Schule, hält nach wie vor viel von der Gesamtschul-Idee: „Ich glaube, daß die Gesamtschule funktioniert, aber man muß eine Menge dafür tun.“ Das fängt bei der Ausgestaltung der Räume unter Mitwirkung der Kids an und hört bei der Auswahl der SchülerInnen noch lange nicht auf.
196 SchülerInnen in sieben Parallelklassen hat Virnich soeben für das neue Schuljahr aufgenommen. Hundert weitere mußte er abweisen. Solche roten Karten zu verteilen fällt Virnich nicht leicht, aber er weiß auch, daß die Auswahl konstituierend ist für erfolgreiche Gesamtschulpädagogik. Deshalb achtet man in Mülheim auf eine Fifty- fifty-Mischung zwischen lernschwächeren und fixeren SchülerInnen und weist Kinder „sowohl in der oberen wie in der unteren Kategorie ab“.
„Edelgesamtschule“ nennt Ulrich Sprenger die Gustav-Heinemann-Schule. Zwei Preise, so scheint es, sind für eine solche Schule zu zahlen: Sie kann als Gesamtschule nur dann eine Schule für alle sein, wenn sie nicht alle aufnimmt. Und sie braucht ein überdurchschnittlich engagiertes Kollegium.
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