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Das rollende Autokino

■ Auf dem Filmfest Bremen läuft der niederländische Spielfilm „En route“

Das Kino hat immer das Auto geliebt – vielleicht, weil beide gleich alt sind, ganz sicher, weil sie zusammen die Menschheit in immer schnellere Bewegung versetzten: Movies und Mobiles – beide Worte haben den gleichen lateinischen Stamm. „How it feels to be run over by a car“ heißt ein englischer Kurzfilm aus den gemeinsamen Kindertagen der Beiden, dessen einzige Einstellung darin besteht, daß ein Auto auf die Kamera zufährt und sie dann tatsächlich überrollt. Ähnlich radikal bringt der holländische Regisseur Paul Ruven fast 100 Jahre später das unverwüstliche Paar zusammen: In seinem Spielfilm „En Route“ sitzt die Kamera fest angeschnallt auf dem Rücksitz.

Ein Kameraschwenk ist nur möglich, wenn das Auto eine Kurve fährt, und die Sicht nach außen ist immer durch eine gelblich gefärbte Frontscheibe gefiltert. Vom Fahrer und Beifahrer sind zwangsläufig oft nur die Hinterköpfe zu sehen, und wer das Auto verläßt, und sich dann nicht in Fahrtrichtung weiterbewegt, verschwindet unvermeidlich aus dem Blickwinkel des Zuschauers.

Das klingt natürlich alles verdächtig nach experimentellem Kino, bei dem man sich angestrengt überlegen muß, welcher kreative Impuls den Regisseur wohl geritten haben mag. Außerdem ist es letzlich ein weitere Versuch, einen gesamten Film mit subjektiver Kamera zu drehen, und das hat bisher noch nie geklappt. In den ersten Minuten des Films fragt man sich auch tatsächlich, was es in diesem schmuddeligen Auto schon groß zu beobachten geben könnte. Aber Ruven zieht den Zuschauer ganz schnell in die verwegene Geschichte eines Häftlings, der einen Tag Freigang hat und seiner Frau, die ihn ausgerechnte mit seinem Bewährungshelfer betrügt. Gerade der extrem begrenzte Blick des Zuschauers steigert in diesem Film die Spannung. Man weiß nicht woher die Autofahrer gerade kommen, und was sie außerhalb des Autos machen – es gibt zwar ein mobiles Telefon, aber wenn das wirklich gebraucht wird ist gerade besetzt. Die Handlung läuft fast in Echtzeit vor unseren Augen ab, doch jeder neue Dreh des Plots kommt so schnell und überraschend, daß man sich in schönster Roadmovielaune gespannt fragt, wohin die Fahrt denn wohl noch geht, und was um Himmels willen dort passieren mag.

Auch filmisch bleibt „En Route“ bis zur letzten Einstellung interessant. Ruven versucht mit allen Tricks den so extrem eingeengten Blick der Kamera zu erweitern. Irgendwann wechseln wir mit dem Paar den Wagen und wenn sie sich trennen, sitzen wir plötzlich in einer Parallelmontage jeweils mit einem von ihnen auf den Rücksitzen von zwei Autos. Einer Liebesszene im Freien müssen wir schließlich einsam zurückgelassen durch die dreckigen Seitenfenster zusehen. Einige kurze Momente des Glück zeigt Ruven nur außerhalb des Autos – ganz ungetrübt war die Romanze Auto/Kino ja auch nie. Wilfried Hippen

Kino 46, Samstag 11.3., 17 Uhr

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