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Der Wochenturm

■ Die Berliner "Wochenpost" ist mit ihrem allerneuesten "Relaunch" und kleinem Format eher ältlicher geworden

Ein knappes Jahr ist es her, da kündigte die Wochenpost auf dem Titel einen Artikel mit der Zeile an: „Hau weg den Chef“. Dem Augenschein nach bezog sich das auf die taz, die gerade ihren Chefredakteur entlassen hatte. Aber per Flüsterpropaganda verbreitete die Redaktion denn doch, daß die Zeile subversiv gemeint war. Zur gleichen Zeit wurde nämlich auch Wochenpost-Chef Mathias Greffrath vor die Tür gesetzt, zum Mißvergnügen der allermeisten RedakteurInnen.

Die Wochenpost, Traditionsblatt aus DDR-Zeiten, war nach der Vereinigung dem Hamburger Verlag Gruner+Jahr in die Hände gefallen. Greffrath, der ehemalige Zeit-Redakteur, hatte drei Jahre Zeit, das Blatt mit der 100.000er Auflage aus den roten Zahlen zu holen. Ein „Relaunch“, wie das in der Branche heißt, mit neuem Layout und dem Anspruch einer Ost- West-Zeitung schob die Auflage vorübergehend in Richtung 120.000 – dann aber war die Luft raus, die Verkaufszahlen pendelten sich wieder knapp über 100.000 ein, ein Fünftel davon im Westen. Gruner+Jahr handelte – konventionell.

Man wechselte den Chefredakteur, Einzug hielt Mathias Döpfner (31), bis dahin Mitarbeiter im Büro des G+J-Vorstandsvorsitzenden, und versprach ein moderneres Blatt, nicht links, nicht rechts, jedenfalls nicht mehr von 68ern geprägt. Die verließen, soweit es sie tatsächlich gab, nach und nach das Blatt, es gingen auch die meisten prägenden SchreiberInnen aus dem Osten, jüngere rückten nach, sollten ein Blatt „für die 2000er“ (Döpfner) machen. Doch leider wurde es nicht spannender, die Angst vor zuviel politischer Stellungnahme ließ immer mehr die Zuspitzung vermissen. Die Schwerpunktthemen („Extra“) hüpften, ähnlich unentschieden wie die Spiegel-Titel der Vor-Aust- Ära, zwischen „Monarchie“ und „Computer“, zwischen dem „Krieg im Kaukasus“ und dem „Mut zum Pelz“.

Statt zu steigen, stagnierte die Auflage weiter bei 100.000. Die Abos gingen sogar um 6.000 auf 46.000 zurück, aufgefangen nur knapp durch die Erhöhung der ominösen „sonstigen Verkäufe“ an Hotels, Lesezirkel und Fluggesellschaften. In Hamburger Verlagskreisen, und nicht nur bei der Konkurrenz, wird gemunkelt, die tatsächlich verkaufte Auflage liege ein gutes Drittel unter den offiziellen Werten.

Konservativ-seriös: für Aufsteiger im Osten

Stagnation oder Talfahrt – wie dem auch sei, der G+J-Vorstand, der schon letztes Jahr über einen leisen Tod der Wochenpost nachgedacht hatte, entschied sich, Döpfner eine letzte Chance zu geben. Seit Monaten wurde mit der Farbe experimentiert, am Format gebastelt, eine neue Struktur ersonnen. Heute nun ist die erste Nummer da, und mit ihr die Überraschung: Ist die Zeit das Blatt für die Lufthansa erster Klasse, so meint man hier, eher die Bäckerblume oder den Wachturm in der Hand zu halten: klein (etwa halbes taz-Format) und praktisch, geheftet wie eine Zeitschrift – aber verheerend für ein modernes Image.

Verglichen mit der schlanken Titelschrift des Konkurrenten Die Woche wirken die fetten und noch in die Länge gestreckten Lettern der klassischen Bauer-Bodoni- Schrift auf dem Wochenpost-Titel geradezu auf konservativ-seriös getrimmt. Dezentes Grün als neue Schmuckfarbe (die früher schon einmal da war) unterstreicht das Distinguierte.

Doch was soll's, die Form entspricht dem Inhalt. Vom Titel blickt uns – wohlgemerkt, am Ende einer Woche, die mit der Flucht des „Baby-Brokers“ begann und mit Währungsturbulenzen allerorten endete – ein gealterter, stirnrunzelnder Kurt Biedenkopf an, genannt „Der Zukunftspräsident“. Und tatsächlich bringt ihn die Wochenpost, nach einem Interview über die Biedenkopf-Stoibersche „Zukunftskommission“ (inklusive ARD-Aufguß), hinten im Blatt schon mal als nächsten Bundespräsidenten ins Gespräch, vier Jahre vor der Zeit.

„Polemisch, provokativ“ möchte Chefredakteur Döpfner sein Blatt sehen, diese Ausgabe ist es so wenig wie die vorhergehenden. Daß die Chemiearbeiter von Buna und Leuna sich um Lohnerhöhungen wenig scheren („Tarifstreit: Ohne uns!“), hatten wir uns auch vorher gedacht. Als neue Leser wünscht er sich „junge und junggebliebene Modernisierer“. Doch dem Kulturteil und der Rubrik „Leben“ ist die Jugendlichkeit kaum anzumerken. Es dominiert die Hochkultur, von Canetti bis Reich-Ranicki, und den neuen Generationenvertrag fordert keine Zwanzigjährige, sondern die unvermeidliche Cora Stephan.

Doch auch das hat Methode. Nicht Off-Kultur, sondern die gehobene Bildung und Unterhaltung für den klugen Kopf, der dabei ist, aufzusteigen. Diesen erhofften Neulesern widmet sich gar ein eigener Artikel: „Young Eastern Survivors“ (kurz „Yessis“) heißen sie, „die jungen, smarten, erfolgreichen Ostdeutschen“. Für sie, vor allem für all die, die es noch werden wollen, ist auch das Wochenpost-Extra dieser Woche gemacht: „Karriere im Osten“. Der „Aufschwung braucht Führungskräfte“, und für die gibt es auch gleich die passenden Stellenanzeigen.

Ohne Garantie

Von Modernität und zupackender Kraft des Konkurrenten Die Woche ist die Wochenpost jetzt meilenweit entfernt. Selbst Die Woche schafft bislang nicht den Durchbruch bei den Lesern, zu beharrend sind noch die Kaufgewohnheiten, von denen weiterhin die Zeit profitiert. So spricht wenig dafür, daß ein Relaunch, der die Wochenpost eher ältlicher gemacht hat, jetzt bei der Auflage das „positive Signal“ (Döpfner) bringt, das Gruner+Jahr als Minimum erwartet. Eine Überlebensgarantie hat der Verlag dem Blatt jedenfalls nicht gegeben. Michael Rediske

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