: Berliner Höhenluft für den Kanzler
■ Verfall der politischen Kultur: Im Reichstag thront die Regierung über den Abgeordneten
Bonn (taz) – Ein kleiner Schritt für den Kanzler, ein großer Rückschritt für die politische Kultur: Die Mitglieder des Bundeskabinetts müssen nach dem Umzug des Bonner Parlaments in den Berliner Reichstag künftig eine Stufe zur Regierungsbank hinaufsteigen, um die Debatte von höherem Niveau aus zu verfolgen. Mit diesem Beschluß zur Gestalt des neuen Plenarsaals nahm die Koalitionsmehrheit gestern Abschied von der im Bonner Bundestag verwirklichten Gleichbehandlung von Parlament und Regierung. In einer ellipsenförmigen Anordnung werden die Sitzplätze der Abgeordneten im Reichstag denen der Regierung und des Bundesrats künftig gegenüberstehen.
Die Entscheidung zwischen Kreis und Ellipse geriet in der gestrigen Bundestagsdebatte zur Auseinandersetzung über politische Kultur. Von den Gedanken eines Jürgen Habermas hält die Regierung offenbar wenig. So sagte die CDU-Abgeordnete Brigitte Baumeister, Regierung und Bundestag befänden „sich nicht im herrschaftsfreien Diskurs“. Mit diesem Argument wies sie den Oppositionsvorschlag zurück, die Regierungsbänke – wie in Bonn – auf gleichem Niveau in eine kreisförmige Anordnung der Abgeordnetensitze einzubeziehen.
Der Ältestenrat hatte sich nach einjähriger Debatte zuvor ebenfalls für die Ellipse ausgesprochen. Das Votum gegen den Kreis begründete Baumeister damit, die Ellipse ermögliche eine lebendigere und dichtere Debattenatmosphäre, weil der Abstand zwischen Redner und Plenum mit 5,60 Meter geringer sei als beim Kreis (acht Meter). Die Erhöhung von Bundesregierung und Bundesrat sei nicht Ausdruck einer Haltung, sondern „wegen der besseren Sicht“ notwendig. Wie Baumeister stellte auch Ulrich Heinrich (FDP) Widerstand gegen die Ellipse unter generellen Ideologieverdacht. Der Abgeordnete bemühte allerdings nicht gerade wertneutrale Argumente für den Höhenunterschied zwischen Parlament und Regierung: „Wir wollen hier keine Nivellierung, und wir wollen keine Vermischung.“
Die Opposition bestand dagegen offensiv auf dem Zusammenhang von Sitzordnung und politischem Verständnis. „Es ist Kennzeichen totalitärer Regierungsformen, daß die Regierung oben thront“, mahnte der Architekt Peter Conradi (SPD). Die Kreisform entspreche der Verfassungswirklichkeit eher als „das Gegenüber aus der Kaiserzeit“. Auch der Bündnisgrüne Gerald Häfner bezeichnete Architekturformen als „Ausdruck einer politischen Haltung“. Die Erhöhung der Regierungsbank nannte er einen „Anschlag auf das Grundgesetz und auf die parlamentarische Demokratie“. Für die runde Anordnung spreche auch der Verweis auf die Tradition der Runden Tische in der Endphase der DDR, sagte der Abgeordnete, der sein Plädoyer für einen Niedrigniveau-Kanzler abschließend in Gedichtform zusammenfaßte: „Das ist nicht des Kanzlers Größe / Zu sitzen auf erhab'nem Thron / Klimatod sofort bekriegen / Arbeitslosigkeit besiegen / ...Gäb' echte Größe, höhern Lohn / Deshalb Ruf an den Kanzler / Äußerlich erhöht zu sitzen / Das ist läppisch, führt zu Witzen! / Höher steh'n an Geist und Taten / Das würden wir dem Kanzler raten!“ Hans Monath
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