: Heckelmann sonnt sich am falschen Strand
■ Wirtschaftskriminalität richtet Milliardenschaden an, aber Innensenator sonnt sich in allgemeinem Kriminalitätsrückgang
Den größten finanziellen Schaden für die Berliner richtet die Wirtschaftskriminalität an. Obwohl sie an der Gesamtzahl aller Straftaten nur mit einem Hundertstel beteiligt ist, verursachten „Männer in weißem Kragen“ im letzten Jahr drei Viertel des durch Straftaten angerichteten Gesamtschadens in Höhe von knapp zwei Milliarden Mark. Den Tatverdächtigen, die bevorzugt mit Betrug arbeiten, widmet Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) nur ganze 23 Zeilen seines 66seitigen „Berichts über die Kriminalitätsentwicklung in Berlin 1994“.
Statt dessen sonnt sich der Innensenator in seinem Bericht, den er heute heute der Öffentlichkeit vorstellen wird, im zahlenmäßigen Rückgang der Straftaten. Zum ersten Mal seit der Wiedervereinigung zeigt in Berlin die Kriminalitätskurve nach unten. Im vergangenen Jahr stellte die Polizei 550.843 Straftaten fest, ein Jahr zuvor waren es knapp 15.000 mehr. Am stärksten haben Aufbrüche von Autos, das „Knacken von Automaten“ und die Zahl der Vergewaltigungen abgenommen. Alle drei Strafdelikte gingen um knapp ein Siebtel bis ein Fünftel zurück. Mit einem Siebtel mehr an Fällen hat der Taschendiebstahl am stärksten zugenommen. Raub und Hehlerei stehen mit einem Zuwachs von jeweils rund einem Zehntel auf Platz zwei und drei.
Die Straßenkriminalität ist mit gut 180.000 Fällen das häufigste Delikt. Darauf folgen Diebstahl aus Kraftfahrzeugen mit knapp 60.000 Fällen und Sachbeschädigung mit knapp 50.000 Fällen. Die seltensten Straftaten waren Mord mit 90 Fällen, Vergewaltigung mit 462 Fällen und Hehlerei mit 1.322 Fällen. Die Polizei hat nur vier von zehn Fällen aufklären können.
Trotz erheblichen Personaleinsatzes von Sicherheitskräften in U- und S-Bahnen konnte die Zahl von Straftaten in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Bahnhöfen nicht vermindert werden. Sie stieg sogar um sechs Prozent. Die Zahl der Körperverletzungen ging allerdings um ein Fünftel auf knapp 700 Fälle zurück. Die Zahl der Taschendiebstähle stieg dagegen um ein Achtel auf knapp 7.000 Fälle. Bevorzugte Verbindungen: die Buslinien in der Innenstadt und die Linien U7 und U9. Die Täter werden vor allem nachmittags und während der frühen Abendstunden in dichtem Gedränge aktiv.
Der Polizei sind im vergangenen Jahr 870 Menschen „aufgefallen“, die zum ersten Mal harte Drogen wie Heroin, Kokain, Amphetamine und LSD konsumiert haben. Trotz des Rückgangs der Erstkonsumenten – 1993 waren es noch 937 Personen – „ist die Zahl der festgestellten erstauffälligen Konsumenten sogenannter harter Drogen noch immer sehr hoch“, wird in dem Bericht gewarnt. Die Zahl der Rauschgifttoten nahm mit 108 Opfern wie schon die Jahre zuvor weiter ab. Vor vier Jahren waren in Berlin im Zusammenhang mit harter Drogen 242 Menschen gestorben. In Berlin gab es im Jahr 1994 laut Polizeistatistik 8.000 Heroinabhängige.
Bei den politisch motivierten Straftaten gibt es einen deutlichen Rückgang um gut 1.000 auf 5.300 Fälle. Extrem abgenommen haben illegale Aktivitäten im linksextremistischen Bereich. Sie haben sich auf knapp 1.600 Fälle fast halbiert. Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist dagegen um ein Viertel auf 2.600 gestiegen. Dirk Wildt
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