: Indiens Kongreßpartei gerät in Bedrängnis
■ Wahlniederlagen in mehreren Bundesstaaten / Kritik an Rao wächst
Delhi (taz) – Die Stimmauszählung der gerade begangenen Wahlen in drei indischen Bundesstaaten hat die regierende Kongreßpartei in Bedrängnis gebracht. Im westindischen Gujarat hat die rechtsnationale „Bharatiya Janata Party“ (BJP) die absolute Mehrheit gewonnen und den Kongreß in die Opposition geschickt. Im ostindischen Küstenstaat Orissa dagegen zeigen Trends, daß die Partei von Premierminister Narasimha Rao die hier bislang regierende BJP entscheidend schlagen konnte. In Maharashtra, dem wichtigsten der drei Bundesländer, kann eine Koalition von BJP und der noch extremeren Regionalpartei „Shiv Sena“ mit 137 von 288 Sitzen rechnen. Die Meinungen darüber, ob die BJP die „Shiv Sena“ salonfähig gemacht hat oder aber fähig war, ihre extreme antimuslimische Spitze zu mildern, gehen auseinader. Jedenfalls hat die Koalition ihren Anspruch zur Bildung der Regierung geltend gemacht, und der bisherige Chefminister Sharad Pawar ist wegen der Niederlage zurückgetreten.
Maharashtra und Gujarat werden mit ihrer wichtigen Industriebasis stärker als das restliche Indien von den Wirtschaftsreformen geprägt. Im Gegensatz zu den ärmeren Staaten war hier jedoch nicht die Reformpolitik, sondern vielmehr die durch die Marktreform vertiefte Korruption das beherrschende Wahlkampfthema. Der Ruf der Bestechlichkeit der Kongreßregierung in der Finanzmetropole Bombay schlug sich schließlich nieder.
Mit der noch ausstehenden Wahl in Bihar findet eine Serie von zehn Urnengängen ihr Ende, die ein wichtiges Stimmungsbarometer für die allgemeine Parlamentswahl in einem Jahr waren. Bislang hat die Kongreßpartei in vier von fünf wichtigen Staaten ihre Mehrheit eingebüßt, und nur einen einzigen – Orissa – gewonnen. Erschwerend kommt hinzu, daß die Niederlagen mit Ausnahme von Maharashtra vernichtend waren. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit nach Delhi und auf Ministerpräsident Narasimha Rao.
Niemand macht dem Premierminister seine Leistung in der Reformpolitik streitig, aber als Parteipräsident hat er sich den Ruf erworben, zwar regieren, nicht aber Wahlen gewinnen zu können. Bei einem Parteitreffen am Wochenende machten ihn denn auch junge Abgeordnete für die hohen Stimmverluste veranwortlich. Dabei kam es offenbar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern und Kritikern des Parteivorsitzenden. Raos Position ist dennoch nicht unmittelbar gefährdet, denn seine Rivalen sind ebenfalls neutralisiert: Sharad Pawar hat in Maharashtra seine Verletzlichkeit gezeigt, und Arjun Singh, kürzlich aus der Partei ausgeschlossen, hat bisher keine nennenswerte Dissidentenbewegung auslösen können. Dennoch stellt sich für die Partei allmählich die Frage, ob sie mit dem Kabinettspolitiker Rao auch nach 1996 noch am Ruder bleiben kann. Bernard Imhasly
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