■ Dagobert verknackt: Im Strafzwang?
Zwischen dem „Mythos Dagobert“ und dem Giftdämpfe-Opfer Arno Funke fand der Richter Nils Neelsen, selber Hobbybastler, zwar eine mittlere Linie für den Angeklagten. Doch Strafe muß sein! Dabei hätte nicht zuletzt die dräuende TV-Präsenz in den Gerichten, vor der Staatsanwalt und Verteidiger plädierend warnten, eine Verhandlung über die Medienente Dagobert bereits gerechtfertigt. Über 90 Millionen Mark spielte das „Topereignis“ Funke- Fahndung den Massenmedien, über Werbezeit und -fläche, ein. Der kriminell gewordene Spritzpistolen-Sprayer aus Tempelhof rangiert damit irgendwo zwischen Boris Becker und IM Stolpe: das Gericht bescheinigt ihm eine „sportlich-faire Haltung“, er selbst hält sein Tun mittlerweile für „verwerflich“ (und warnt in seinem Schlußwort die Kids, es ihm nachzutun).
Die Polizei, die Journalisten in Kinosälen an der Fahndung beteiligte, und der populäre Täter kommunizierten nicht nur über die Medien, mit Kleinanzeigen und Ausrichten der Taktiken gemäß ihrer jeweiligen Einschätzung des „Medienechos“, sie zwangen sich auch zu sportivem Verhalten durch die nahezu flächendeckende Umdrehung von Gut und Böse in der öffentlichen Meinung: kein finaler Rettungsschuß auf der einen, keine Bombe, die jemanden verletzt, auf der anderen Seite.
Wenn er einen Geldübergabe-Termin verpaßte, entschuldigte sich Dagobert hernach höflich. „Das hat was“, meinte der Tagesschau-Kommentator nach Arno Funkes Verhaftung. Aber was bleibt? Der gute Ruf des ersten gesamtdeutschen Kaufhauserpressers, der nur mit dem der englischen Posträuber zu vergleichen ist. Vom „Gentleman-Verbrecher“ sprach der Staatsanwalt. Nur die Bild-Zeitung entgleiste und sprach nach dem ersten Prozeßtag vom „jämmerlichen Geständnis Arno Funkes“, obwohl sie Dagobert zuvor besonders üppig ausgeschlachtet hatte. Sind nicht seine Parasiten von der Presse, also wir, die eigentlich Schuldigen? Das wäre ein noch interessanterer Prozeß geworden. Helmut Höge
Siehe Bericht Seite 2
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