: Schwule Cowboys im Computer Von Andrea Böhm
Mit der Geschichte ist das so eine Sache. Wer darf sie erzählen? Wer darf zwischen Guten und Bösen unterscheiden? Wer darf befinden, wann Amerikas glorreichste Stunden geschlagen haben und an welcher Stelle Mythen zu pflegen sind? Die Geschichte der USA ist im Buchhandel erhältlich – mehrbändig für den anspruchsvollen Konsumenten. Als Taschenbuch unter dem Titel „Don't Know Much About History“ für den eher kursorischen oder unkonventionellen Leser. In Museen, im Kino, in den Souveniergeschäften der unzähligen Gedenkstätten – und bald nett aufgeputzt in einem Walt-Disney-Vergnügungspark. Wer die nötige Infrastruktur in Gestalt eines Computers besitzt, kann sie sich auch als CD-ROM kaufen. Genauer gesagt: den Ausschnitt zwischen 1876 und 1914. Für 49,95 Dollar erhält mensch Antwort auf die Frage: „Who built America?“
Das Multi-Media-Opus erhielt wohlwollende bis begeisterte Rezensionen. „Spannend gemacht“, schrieb das Wall Street Journal, das bislang über jeden Verdacht erhaben war, die Postille der Political correctness-Bewegung zu sein. Die Zeitung empfahl die CD-ROM für den Geschichtsunterricht. Apple Computer ahnte ein gutes Geschäft und übernahm den Vertrieb.
Doch Zeitgenossen, die die Debatte um die Political correctness gerne mit der chinesischen Kulturrevolution verwechseln, horchten schon beim Titel auf. Das Fragezeichen läßt bereits erahnen, daß unter den Persönlichkeiten, die zum Aufbau des Landes beigetragen haben, neben weißen, wohlhabenden Männern auch andere Personen gewürdigt werden. Die Frauenrechtlerin Miriam Allen DeFord zum Beispiel, die Anfang des Jahrhunderts ihre Geschlechtsgenossinnen über Verhütungsmittel aufklärte und recht anschaulich die Widrigkeiten schilderte, die sich im Jahre 1914 beim Kauf eines „Holländischen Pessars“ in einer Bostoner Drogerie ergaben.
Es dauerte keine vier Wochen, und die ersten Beschwerden wurden laut. „Linksradikale Geschichtsschreibung“, klagten konservative Historiker. Industrielle hätten Amerika groß und großartig gemacht, nicht irgendwelche Frauenrechtlerinnen, GewerkschafterInnen oder sonstige Angehörige des Plebses. Geschichte aus der Sicht der Mehrheit – wo kommen wir denn da hin ... Am meisten Anstoß erregte unter den über 4.500 Bildschirmseiten, 700 Fotografien, 45 Minuten Videoaufzeichnungen und über vier Stunden historischen Tonmaterials ein kurzer Textabschnitt über „Male- Male Intimacy in the West“. Die Anziehungskraft des Wilden Westens bestand demnach für manche Männer nicht nur in der Aussicht auf Freiheit und Abenteuer, sondern auch in der Aussicht auf Männer, Freiheit und Abenteuer. Kurz gesagt: Es gab schwule Cowboys. Das ist an sich nicht weiter überraschend, doch nach herrschender Auffassung mit dem Mythos des „Kuhburschen“ à la John Wayne oder Clint Eastwood nicht zu vereinbaren. „Apple Computer“ hat nun nach Berichten des Wall Street Journals den Hersteller der CD- ROM, „Voyager Corporation“, gebeten, die entsprechenden Stellen zu löschen. Der aber denkt gar nicht daran. Eher wird er noch weiter recherchieren und ein paar schwule Indianer einbauen. Damit alles wieder schön ausgewogen ist.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen