: Schmutziger Loipen-Lorbeer
Wladimir Smirnow gewinnt bei der Nordischen Ski-WM auch die Schlammschlacht über 15 Kilometer und holt seine dritte Goldmedaille ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – „Es war ein hundsmiserabler Winter“, jammert Gianfranco Kasper, Generalsekretär des Internationalen Ski-Verbandes (FIS), völlig zu Recht. Schneemangel und andere Wetterkapriolen sorgten für ständige Verlegungen und Annullierungen der Rennen im alpinen Weltcup, als Krönung mußte die alpine WM in der Sierra Nevada um ein Jahr verschoben werden. Kein Wunder, daß unter diesen Umständen auch bei der letzen großen Veranstaltung des Winters, den Nordischen Skiweltmeisterschaften, kein Mangel an Problemen herrschte. Immerhin konnten die Veranstalter im kanadischen Thunder Bay, die ursprünglich „eine Veranstaltung im Niveau der fünfziger Jahre“ (Kasper) durchführen wollten, noch rechtzeitig veranlaßt werden, wenigstens minimalen organisatorischen Anforderungen gerecht zu werden. Doch das genügte nicht, um auch das Interesse der kanadischen Sportfans an der WM zu wecken. Die bei der Bewerbung von den Kanadiern angekündigte „Fernsehshow“ erwies sich als leeres Versprechen, und der Versuch, den nordischen Skisport in Kanada populär zu machen – erklärtes Ziel der WM-Vergabe an Thunder Bay – kann getrost als mißraten betrachtet werden. Zuschauer verirrten sich kaum an die Langlaufstrecken und Schanzen.
Die Aktiven wurden besonders von den nahegelegenen Papierfabriken gepeinigt, die nicht nur üblen Gestank verbreiteten, sondern auch die Loipen verdreckten. Hinzu kam ein Wärmeeinbruch, der die Strecke pünktlich zum 15-Kilometer-Jagdrennen in einen Schlammtümpel verwandelte. Die mit Lastwagen herangekarrten Holzspäne und die Abflußrinnen für das Schmelzwasser brachten nur geringfügige Besserung. Jochen Behle, Siebter im klassischen Rennen über 10 Kilometer, welches die Startabstände für die im freien Stil absolvierten 15 Kilometer vorgab, warf einen Blick auf die Strecke und verzichtete dankend. „Bei diesen Bedingungen wäre ich sowieso chancenlos gewesen.“
Um auf dem nassen und schmutzigen Schnee wenigstens ein halbwegs reguläres Rennen zu gewährleisten, ließ die FIS chemische Hilfsmittel wie Diesel und Kalkreiniger zu. Betreuer legten ihren Läufern immer wieder getränkte Lappen in die Loipe, mit denen sie beim Überfahren die Dreckschichten unter den Skiern loswerden konnten. „Heute waren die vorn, die die meisten Serviceleute auf der Strecke hatten“, meinte DSV-Sportwart Braun.
Nicht wie gewünscht nach vorn kam Johann Mühlegg. Er verbesserte sich in seiner Spezialdisziplin zwar vom „klassisch“ erkämpften 29. Rang auf Platz 13, wäre aber weiter vorn gelandet, wenn er nicht zweimal Pech gehabt hätte. Zuerst spießte der 24jährige eine Plastiktüte auf und verlor wertvolle Zeit beim Abstreifen, dann stürzte er auch noch. „Die Piste ist plötzlich unter mir weggebrochen“, erzählte Mühlegg, der sich zwar immer noch „spiritistisch verfolgt“ fühlt, die beiden Mißgeschicke diesmal aber weder dem Bundestrainer noch anderen Hexenmeistern anlasten mochte.
Unbeeindruckt von den widrigen Verhältnissen zeigte sich Wladimir Smirnow, der schon das klassische Rennen gewonnen hatte und – gestählt durch seine sommerlichen Abenteuertouren mit dem Norweger Vegard Ulvang nach Sibirien und in die Mongolei – durch ein bißchen Dreck nicht aus der Fassung zu bringen ist. Der Kasache ließ es langsam angehen und die Verfolger Dählie sowie Myllylä zunächst bis auf acht Sekunden herankommen. Als diese dann mit den Kräften am Ende waren, drehte Smirnow auf und holte seine dritte Goldmedaille von Thunder Bay vor Silvio Fauner (Italien) und Jari Isometsä (Finnland). Der erste goldene WM- Hattrick eines Langläufers.
Fünfmal Gold, achtmal Silber, dreimal Bronze hat der 31jährige bei Olympia und Weltmeisterschaften gewonnen, eine Erfolgsbilanz, die dem allseits beliebten ehemaligen Major der Sowjetarmee sogar die meisten Konkurrenten gönnen. Bei den Olympischen Spielen in Lillehammer, wo er über 50 Kilometer sein erstes olympisches Gold holte, wurde Smirnow, obwohl er vorzugsweise in Schweden trainiert, von 150.000 norwegischen Zuschauern quasi adoptiert und mit „Smirre Smirre“-Sprechchören ins Ziel gejubelt. Schon vorher hatte ihm der schwedische König Carl XVI. Gustaf die Einbürgerung angeboten. Doch Smirnow lehnte ab. „In meinem Herzen bin ich Kasache“ erklärte er, obschon er zwar auf deutsch, russisch, schwedisch und englisch parlieren kann, nicht aber kasachisch.
In der Staffel kann Wladimir Smirnow mangels geeigneter Mitstreiter seine Goldjagd nicht fortsetzen, bleiben die 50 Kilometer am Sonntag. Doch der „großartige Mensch“ (Vegard Ulvang) wiegelt ab: „Ich kann doch nicht alles gewinnen.“ So oder so, sein Winter war alles andere als hundsmiserabel.
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