: "Ich bin kein Vorgärtner"
■ Sozial- und Arbeitsminister Norbert Blüm, federführender deutscher Minister auf dem Weltsozialgipfel, über dessen Ergebnisse und die deutsche Sozialpolitik nach Kopenhagen
taz: Herr Blüm, auf dem UN- Sozialgipfel haben Sie mehrfach betont, daß es in Kopenhagen nur um die Probleme der Entwicklungsländer gehe. Muß ich Sie jetzt als Minister für Soziales oder für Entwicklungspolitik anreden?
Norbert Blüm: Ich sehe, Sie denken in den Schubladen, die dem herkömmlichen Ressortprinzip entsprechen. Da haben Sie bei mir die falsche Adresse erwischt. Ich bin kein sozialpolitischer Vorgärtner, der sich nur um nationale Probleme kümmert. In der Tat sind die größeren Armutsprobleme anderswo auf der Welt. Wenn der Abstand zwischen Reich und Arm so bleibt, wie er heute ist, dann landet die Welt in einem großen Chaos, dessen Ergebnis eine Völkerwanderung sein wird.
Das war aber nun doch ein Sozial- und nicht ein Entwicklungshilfegipfel. Wird sich denn nach Kopenhagen etwas für die Armen in Deutschland ändern?
Auch wenn es Ihnen nicht gefällt, ich bin nicht nach Kopenhagen gefahren, um die nationalen Probleme Deutschlands darzustellen. Das ist so ungefähr, als wenn Sie mit mir über einen Wasserrohrbruch reden wollen, während die Welt unter Dammbruchgefahr steht. Ich empfinde es als deutschen Provinzialismus, zu glauben, unsere Binnenprobleme seien Probleme, die die Welt sehr interessieren würden.
Kopenhagen ist ja nun vorbei. Ich würde gerne wissen, wie es jetzt bei uns weitergeht. Wird es zum Beispiel, wie in der Deklaration vorgeschlagen, einen nationalen Armutsbericht geben?
Sie und etliche deutsche Landsleute haben ja schon in Kopenhagen darunter gelitten, daß ihre nationalen Gefechte nicht auf der Weltbühne ausgefochten werden. Aber gut, ich bin auch für die nationale Diskussion zu haben. Was den Armutsbericht anbelangt: Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß die Daten, die in Deutschland jedermann zugänglich sind, gesammelt werden. Nur gehöre ich nicht zu denjenigen, die ja in Deutschland eine große Anhängerschaft haben, die glauben, durch die Diagnose wäre irgend etwas zur Therapie beigetragen. Ich zähle zur Truppe der Bearbeiter.
Das paßt gut zu dem Schlußdokument des Gipfels, das die Wichtigkeit eines nationalen Folgeprozesses sehr betont. Wie wird denn dieser in Deutschland aussehen?
Wir arbeiten an einer Reform des Arbeitsförderungsgesetzes, wir haben das Rentensystem reformiert, wir haben das Gesundheitssystem reformiert ...
... ich wollte nicht so sehr wissen, was die Bundesregierung bereits geleistet hat, sondern was das Follow-up von Kopenhagen sein wird.
Also, können wir uns darauf einigen, daß Sie die Fragen stellen, die Sie wollen, und ich gebe die Antworten, die ich will. Sie haben mich einfach unterbrochen. Ich war noch gar nicht fertig, da haben Sie schon die Zensuren gegeben. Ich war gerade dabei, was wir schon gemacht haben, daß wir also nicht erst anfangen müssen, Armut zu bekämpfen. Wir haben eine Pflegeversicherung eingeführt, und wir sind dabei, das Sozialhilfesystem zu reformieren. Ich habe nicht vor, mich hier auf einem Ruheplatz niederzulassen.
In Kopenhagen wurden zahlreiche Vorschläge blockiert. Sind Sie denn mit den Ergebnissen des Gipfels zufrieden?
Angesichts des Zustandes dieser Welt wüßte ich keinen Anlaß zur Zufriedenheit. Ich weiß nur aus der Geschichte, daß Fortschritt eine mühsame Sache ist und daß man Schritt für Schritt vorgehen muß. Allein die Tatsache, daß sich die Staaten dieser Erde auf das Hauptthema Armut verständigen, ist ein großer Fortschritt. In der traditionellen Außenpolitik hat das bisher kaum eine Rolle gespielt. Insofern signalisiert der Gipfel eine Transformation der Beziehungen der Völker. Deshalb fand ich es gut, daß die Nichtregierungsorganisationen in Kopenhagen beteiligt waren.
Darf ich das so interpretieren, daß Sie zwar nicht mit dem Zustand der Welt, aber mit dem Gipfel selbst ganz zufrieden sind?
Mein Gott, es macht mir Mühe, mich zu wiederholen; ich habe doch gesagt, daß ich nicht zufrieden bin. Aber das war wahrscheinlich die Antwort, die Sie nicht erwartet haben – dann streichen Sie doch die Antwort. Am besten Sie geben sich gleich selbst die Antworten, die Ihnen passen.
Um das zu verhindern, fragte ich ja noch mal nach ...
Sie haben nicht gefragt, Sie haben das einfach umgedreht.
Darf ich trotzdem noch mal fragen, was Sie sich denn anderes erhofft hätten?
Ich hätte mir gewünscht, daß die 20:20-Regelung [20 Prozent Entwicklungshilfe und 20 Prozent der Haushalte der Entwicklungsländer für soziale Grundversorgung, N.L.] etwas verbindlicher geworden wäre, weil ich in dieser ganz bescheidenen Formel einen Hebel sehe zur strukturellen Veränderung. Denn ein Blick in den bisherigen Verlauf der Entwicklungshilfe zeigt, daß allein die transferierte Geldmenge nichts über die Qualität der Hilfe sagt.
Bedeutet die in Kopenhagen so oft beschworene Zivilgesellschaft, daß die Zusammenarbeit mit den NGOs auch innerhalb der Bundesrepublik intensiviert wird?
Ja. Das ist eine Symbiose. Staat und Nichtregierungsorganisationen haben allerdings unterschiedliche Rollen.
Subsidiarität kann nur dann funktionieren, wenn nicht nur Aufgaben nach unten abgegeben werden, sondern auch Gelder.
In dem Wort Subsidiarität steckt auch das Wort Subsidium [Hilfsleistung, N.L.].
Kann es sein, daß die Staaten sich einerseits aus ihrer sozialen Verantwortung herausziehen und andererseits angesichts ihrer Haushaltsprobleme die angesprochenen Subsidien nicht gewähren?
Wir beteiligen uns mit elf Milliarden Mark an der Entwicklungshilfe. Wir sind damit immerhin der viertgrößte Zahler. Wir engagieren uns auch in den mittel- und osteuropäischen Ländern mit 140 Milliarden insgesamt. Das ist auch Hilfe für die, die in Not sind. Und wir haben uns an einem Schuldenerlaß für die ärmsten Länder mit neun Milliarden Mark beteiligt. Alles keine Zahlen, die uns berechtigen, die Hände in den Schoß zu legen. Aber mit leeren Händen stehen wir nicht da.
Dennoch ist die Bundesrepublik weit entfernt von dem international gesteckten Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe aufzuwenden. In Kopenhagen haben Sie gesagt, „der Staat kann die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen; wo er es versucht hat, ist es schiefgegangen“. Mich wundert diese Bescheidenheit über die eigenen Aktivitäten.
Ich habe nicht gesagt, daß der Staat nicht dabei helfen soll, Arbeitsplätze zu schaffen. Nur er selbst soll das nicht machen. Die Staatswirtschaften haben bewiesen, daß sie die falschen Arbeitsplätze schaffen. Damit habe ich, falls das in Ihrer einfachen Denkweise die einzige andere Möglichkeit ist, nicht für den Kapitalismus plädiert. Ich habe auch nicht für eine Wildwest-Marktwirtschaft plädiert, sondern für eine soziale Marktwirtschaft. Und da hat der Staat große Verantwortung: Durch Qualifikation, Bildung und durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen Brücken zu bauen in den regulären Arbeitsmarkt. Wir geben allein in diesem Jahr 50 Milliarden Mark dafür aus. Das bleibt weiter Aufgabe einer sozialen Politik. Interview: Nicola Liebert
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