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Spinner im Römer

Chaos im Frankfurter Magistrat: Drei Abweichler verweigern der rot-grünen Stadtregierung ihre Stimme  ■ Von Heide Platen

Frankfurt/Main (taz) – Um 20.07 Uhr am Montagabend hatte es ein Ende mit all den Blumensträußen, den Gratulationen und den Kuß-Parcours im Frankfurter Römer. Die bis dahin vier wiedergewählten und damit in ihrem Amt bestätigten DezernentInnen der rot-grünen Stadtregierung blickten betreten, während Oberbürgermeister Andreas von Schoeler ungewohnt blaß in die Kameras starrte. Das Rechenexempel war so einfach wie niederschmetternd: drei Abgeordnete aus den eigenen Reihen hatten Rot-Grün die Mehrheit verweigert.

„Immerhin einer weniger“, tröstete eine Spötterin. Im Herbst 1993 waren es noch vier gewesen. Dies hatte dazu geführt, daß die Wahlen zum Magistrat, dessen Amtszeit für sechs Dezernate im Juni abläuft, auf den „letzten Drücker“ der vorgeschriebenen Dreimonatsfrist vertagt worden waren.

Der parteiinterne Machtkampf der SPD hatte eigentlich mit einem Dezernatsposten für den altgedienten Frankfurter Parteigenossen Günter Dürr befriedet werden sollen. Damit war es dann erst einmal vorbei, als sich die Stadtverordnetenversammlung mit 45 zu 48 Stimmen gegen die grüne Frauen- und Gesundheitsdezernentin Margarethe Nimsch entschied, die vor Dürr auf der rot-grünen Reißverschlußliste stand.

Unausweichlich setzte sich in den nächsten Stunden fort, was eigentlich hatte vermieden werden sollen: das Rätselraten um die drei Abweichler, die in den Reihen der Sozialdemokraten vermutet werden.

Während die Grünen noch zwischen Zorn und Unverständnis über die selbstmörderischen Tendenzen in der SPD schwankten, murmelte die eine oder andere SPDlerin verbissen „Scheiße, so eine Scheiße“. Und wieder war im hohen Hause die Stunde der Verbalinjurien gekommen, aus denen Andreas von Schoeler seinerzeit ein geflügeltes Wort gemacht hatte, als er die Abweichler „Schweine“ nannte. Aus allen Ecken tönte es nun laut und leise: „Schweine“, „Scheiße“, „Frankfurter Würstchen“ oder: „die spinnen im Römer“. Die aufgeregten Fraktionen forderten nacheinander immer wieder eine „Auszeit“ für Beratungen.

Die SPD rief den Ältestenrat an, um haarspalterisch komplizierte formaljuristische Fragen zu klären und eine Wiederholung der Wahl zu erzwingen.

Währenddessen rief die CDU zur Pressekonferenz und betonte das unübersehbare Scheitern des Oberbürgermeisters. CDU-Spitzenkandidatin Petra Roth hatte schon vorher gesagt: „Ich bin entsetzt!“ Sie sah keinen Handlungsbedarf und verweigerte die für eine Änderung der Tagesordnung und damit auch für eine Wahlwiederholung notwendige Zweidrittelmehrheit. Eine Koalitionsaussage, sollte Rot-Grün am Ende platzen, in Richtung der Grünen wollte sie erst recht nicht machen. Damit saß Rot-Grün in der Zwickmühle einer Zeitfalle. Laut hessischer Gemeindeordnung muß die Wahl innerhalb von 24 Stunden abgeschlossen sein. Sollte das Parlament aber für den nächsten Tag zu einer neuen Sitzung einberufen werden, dann muß die Einladungsfrist von drei Tagen eingehalten werden. Roth forderte Schoeler auf, die „Lage zu bereinigen“ und den Weg für eine Bürgermeisterdirektwahl freizumachen. Roth: „Noch Fragen?“ Nein.

Staunendes Publikum konnte zwischenzeitlich die SozialdemokratInnen hinter hell erleuchteten Scheiben in ihrem Sitzungsraum beobachten, wie sie Zettel austeilten und in einer Telefonzelle unter Ausschluß der Öffentlichkeit geheim abstimmten: „Die üben wählen!“ Daß diese Probe aufs Exempel einstimmig für Nimsch ausging, brachte die Stimmung der Koalitionspartner tief unter den Nullpunkt. Aufgeregte SPD-Abgeordnete rannten durch die Gänge und versicherten gefragt und ungefragt, daß die Abweichler bei den Grünen gesucht werden müßten. Grüne warfen der SPD im Gegenzug „bodenlose Scheinheiligkeit“ vor. Dabei wurde auch laut, worüber vorher wohlweislich geschwiegen worden war. Planungsdezernent Werner Wentz (SPD) hatte fragwürdige 55 Jastimmen auf sich vereint. Der beim rechten SPD-Flügel verhaßte Modernisierer sei von den drei anonymen „Schweinen“, wurde nun lauthals vermutet, ebenfalls brüskiert worden. Und 45 plus 10 ergebe genau die Anzahl der „Republikaner“ im Römer, die vorher angekündigt hatten, den „aufrechten Mann“ mitzuwählen. Wentz hatte das energisch als „Quatsch“ von sich gewiesen. Die CDU lobte die Grünen und legte nach. Zu beweisen sei nichts, aber: „Es bleibt ein Klima kritischen Nachfragens.“

Der Abgeordnete und Wirtschaftsanwalt Michel Friedman (CDU) mahnte die Moral an: „Es gibt eine politische Ästhetik, wo ich irgendwann sagen muß, ich bin im Konkurs.“ Er hatte im Ältestenrat von Oberbürgermeister Schoeler angesichts der verfahrenen Situation „mehr Demut“ gefordert. Die zeigte dieser eher verhalten, als er kurz nach Mitternacht noch einmal an die Abgeordneten appellierte, die Zustimmung zur Wahlwiederholung zu geben und die Opposition mehr schalt als „die Abweichler aus der eigenen Koalition“, denen er „Heimlichkeit“ vorwarf. Getümmel, Gebrüll und Buhrufe begleiteten seine Rede. Von Schoeler (SPD) legte gestern mittag nach. Er ließ wissen, er werde sein Amt zur Verfügung stellen, falls die Wiederwahl von Gesundheitsdezernentin Nimsch am Abend noch einmal scheitern sollte. Dann werde er das Stadtparlament „auffordern, mich abzuwählen und damit den Weg für eine Direktwahl des Oberbürgermeisters frei zu machen“.

Zuvor hatte sich gegen drei Uhr morgens das Parlament mehrheitlich entschlossen, die 22. außerordentliche Plenarsitzung zu unterbrechen und am selben Abend um 19 Uhr fortzusetzen. Da schliefen die BerichterstatterInnen bereits auf den Gängen – ein „Republikaner“ schnarchte im Abgeordnetensessel vor sich hin.

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