: Feministinnen sind alles
■ betr.: taz zum Frauentag 8. 3. 95
Der Frauentag begann für mich ziemlich ärgerlich: Als ich nämlich die taz aus dem Briefkasten holte. Seit Tagen kündigt Ihr „Frauen im Vordergrund“ an, und dann das: Als allererstes fällt mir auf der Titelseite fettgedruckt „Männer“ ins Auge. Dazu ein Beitrag über einen feministischen Vorstoß, von dem Ihr sicher sein könnt, daß ihn kaum eineR ernst nimmt. Frauenbewegung ist zum „Drüberspötteln“...?
Ich dachte es kann nicht wahr sein, daß Euch nichts anderes für die Titelseite eingefallen ist. Ansonsten findet frau auf der Titelseite sieben Männer und neun Frauen. Frauen im Vordergrund? Aber nur mit den Männern zusammen?
Völlig übel finde ich die Abbildung des einen Paares(?), links unten, wo er ihr an die Brust faßt. Wie sie das findet, bleibt offen, da ihr Gesicht nicht zu sehen ist. Merkt Ihr eigentlich noch was?
So geht es dann in der Zeitung weiter. Klar gibt es einige frauenfreundliche Artikel. Andere sind dafür der Hammer: „Tragen Feministinnen figurbetont?“ Warum interessiert Euch diese Frage? Bei AtomkraftgegnerInnen fragt Ihr auch nicht nach den Klamotten. Nur bei Frauen, klar, da ist das immer wichtig. Im Artikel kann ich dann lesen, welchen Eindruck Mädchen von den Feministinnen haben. Daß diese da nicht differenzieren, finde ich noch verständlich. Von erwachsenen Journalistinnen aber ist eine Aussage wie „Feministinnen tragen figurbetont“ eine Frechheit. [An welcher Stelle sagt das denn eine erwachsene Journalistin? Ich konnte keine entdecken! d.sin] Damit schafft Ihr Schubladen und Vorurteile. In Wahrheit sind Feministinnen nämlich alles: Modebewußt, nicht modebewußt, alternativ, dünn, dick, alt, jung hetera, lesbisch, bi, schwach, stark... wie Frauen halt sind.
Was ein Artikel über Männer auf Schönheitsfarmen in der Frauentaz verloren hat, bleibt mir auch ein Rätsel.
Nach Titelseite und Tagesthema geht es dann zum Glück etwas erfreulicher weiter. Am konsequentesten fand ich aber immer noch den Beitrag von amnesty international. Hier wird mal über die Realität von Frauen gesprochen, und nicht über Klamotten und Straßennamen.
Ich schreibe ja ungern Leserbriefe, weil ich eigentlich Besseres zu tun habe. Aber heute hat es mir echt gereicht. Es wird für Frauen, für die gesellschaftliche Gewalt gegen Frauen kein Nebenwiderspruch ist, immer schwerer, die taz zu abonnieren. Heike Dierbach, Hamburg
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