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Big Max McWeber als „global player“

■ Irrational, superfordistisch und auch noch ineffizient: das Fastfood-Prinzip

Was würde Max Weber zum BigMac sagen? George Ritzer verrät es uns – als his master's voice, sozusagen. Was der deutsche Soziologe im Rahmen seiner Rationalisierungstheorie über die Bürokratie feststellte, demonstriert der amerikanische Professor am Hamburger- Multi McDonald's und seiner real vegetierenden Klientel. Die Diagnose lautet in beiden Fällen: Der „eiserne Käfig der Rationalität“ ist unmenschlich. Vor allem haben immer mehr von uns in ihm Platz: Derzeit gibt es weltweit 15.000 McDonald's. McDonalds ist außerdem weltweit stilprägend. Drive-in-Praxen für Behandlungen auf die Schnelle heißen „McDentists“ und „McDoctors“, Kindertagesstätten „McChild“, Kurzfutterzeitungen wie USA Today „McPaper“.

Die McDonaldisierung als alle Lebensbereiche im globalen Maßstab durchwirkendes Prinzip stellt laut Ritzer eine große Gefahr dar, denn rationale Systeme bringen oft Irrationales hervor. Nehmen wir die Mutter aller Beispiele: Über die Menschen, die sich in die Welt von McDonald's begeben, wird massive Kontrolle ausgeübt. Hyperfordistisch werden die Angestellten gedrillt, Manager und Inspektoren führen ein unerbittliches Regime. Die Konsumenten werden eher unterschwellig manipuliert: Warteschlangen, eine begrenzte Speisekarte und unbequeme Stühle veranlassen sie, genau das zu tun, was die Firma wünscht: schnell zu essen und dann wieder zu verschwinden. Offenkundigster Ausdruck der Irrationalität der Rationalität ist aber die Ineffizienz der Fastfood-Restaurants: Wegen der chronisch langen Schlangen vor der Theke erwägt McDonald's derzeit, für die täglich 15 Millionen Kunden ein privates Fernsehnetz zu installieren – ein Eingeständnis, daß das Schnellrestaurant so schnell gar nicht ist. Zudem, rechnet uns der Organisationssoziologe Ritzer vor, kostet ein Essen bei McDonald's im geschlossenen Kleinfamilienverband leicht 20 Dollar – eine Summe, mit der man sich fast schon fürstlich selber bekochen könnte. Uns Radikalkonstruktivisten läßt das allerdings kalt: „Wie es wirklich ist, spielt kaum eine Rolle, solange wir glauben, Fastfood-Restaurants seien effizient und billig.“

Ritzer spendet der McDonaldisierung aber auch gelegentlich Beifall, schließlich ist er Sozialwissenschaftler und nicht echauffierter Gastronomiekritiker. Der BigMac schmeckt immer gleich – gestern, heute, morgen; in New York, San Salvador oder Peking. Das nennt Ritzer „tröstlich“ für Menschen, die „lieber in einer Welt leben, in der nichts Unerwartetes geschieht“ – McDonald's als Anker gegen die Unbill moderner Entwurzelung. Auch weist der Autor auf demokratisierende Tendenzen hin: Noch nie hatten so viele Menschen Zugang zu Gerichten italienischer, mexikanischer, chinesischer oder indischer Herkunft („indianisch“ heißt es in der deutschen Übersetzung – der Irrtum des Columbus mit umgekehrten Vorzeichen).

Der Prozeß der McDonaldisierung, daran läßt Ritzer keinen Zweifel, ist unausweichlich. Es wird immer unmöglicher, den für Gourmets und kulinarische Regionalisten demütigenden Gang durch den goldenen Doppelboden zu gehen – McCanossa. „Der Bevölkerungszuwachs, der immer schnellere technische Wandel, das zunehmende Tempo des Lebens – all das macht es mehr und mehr unmöglich, in eine nicht rationalisierte Welt zurückzukehren – falls es sie irgendwann einmal gegeben haben sollte, jene Welt mit selbstgekochtem Essen, Besuchen in herkömmlichen Restaurants, hochwertigen Lebensmitteln, Mahlzeiten voller Überraschungen und Restaurantangestellten, die ihrer Kreativität freien Lauf lassen konnten.“ Vielleicht bedeutete deren Lächeln ja schon immer das, was es heute bei McDonald's bedeutet: „Raus mit dir!“

Aufrüttelnde Lächerlichkeit

Das Buch, obwohl ein Katalog der vielfältigen Verheerungen, endet nicht resignativ. Im Gegenteil: das letzte Kapitel ist – o herrlicher US- Pragmatismus! – eine Fibel für den Konsumkampf. Die Vorschläge sind zumeist sinnvoll: „Organisieren Sie Bürgerinitiativen zum Protest gegen den Mißbrauch durch McDonaldisierte Systeme. Diese reagieren auf solche Proteste. Wenn sie in einem solchen System arbeiten, tun Sie sich mit den Kollegen zusammen, um menschlichere Arbeitsbedingungen zu schaffen.“ Abstürze auf dem heutzutage schmalen Grat zwischen aufrüttelndem Engagement und rührender Lächerlichkeit finden sich ebenfalls.

Zum Beispiel folgender Ratschlag: „Vermeiden Sie es, in Appartements oder Reihenhäusern zu wohnen.“ Sollen wir etwa zelten? Und wo kochen wir dann? Allerdings, richtig!, gibt es ja sicher in der Nähe einen... Simon Heusser

George Ritzer: „Die McDonaldisierung der Gesellschaft“. Fischer Verlag, Frankfurt 1995, 363 Seiten, 32 DM.

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