: Das Programm der Natur
■ Ein Interview zur Computerkultur mit Rolf Herken, dem Geschäftsführer der Berliner Software-Firma "mental images"
Rolf Herken arbeitet an den Kombinationsmöglichkeiten von Kultur und Kommunikation, die sich mit dem Computer ergeben haben: Der theoretische Physiker ist Geschäftsführer der Berliner Firma „mental images“, die Großkonzerne mit Software beliefert. „Wir stellen die Bleistifte her, mit denen andere ihre Bilder malen“, so Herken. Dabei geht es ihm nicht allein um die Weiterentwicklung des visuellen Bereichs für Wirtschaftsunternehmen. Seit 1994 gibt Herken im Springer Verlag Wien die Buchreihe „Computerkultur“ heraus. Erster Titel war die maßgebliche Biografie über den Mathematiker, Geheimdienstmitarbeiter und Computerpionier Alan Turing, die Herken selbst übersetzt hat. Einer der zentralen Gedanken, denen Turing bereits 1936/37 nachgegangen war, beschäftigte sich mit der Grenzziehung zwischen der Maschine und den Programmen, die diese Maschine steuern. Heute ist dieses Wissen in der Computerindustrie unentbehrlich, da Software-Programme entsprechend den technischen Bedingungen der Geräte entwickelt werden müssen. Weitere Publikationen der Reihe sind u.a. „Die Wissenschaft vom Künstlichen“ von Herbert A. Simon und ein Sammelband von Stephan Graubard: „Probleme der Künstlichen Intelligenz“ (in Planung).
taz: Was ist für Sie Computerkunst?
Rolf Herken: Es ist eine Art Produktherstellung unter der Verwendung von Software, die in der Regel andere geschrieben haben, wobei man Bilder, Texte oder Töne erzeugt. Der Computer kann andere Medien ersetzen. Er ist das erste Metamedium. Mit dem Computer kann ich andere Medien simulieren. Das andere Metamedium ist das Gehirn. Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß das Gehirn in Echtzeit arbeitet und das Produkt einer Milliarden Jahre währenden Evolution ist. Die Evolution hat das menschliche Gehirn programmiert. Der Computer muß erst programmiert werden, um andere Medien so gut zu simulieren wie das Gehirn. Er ist noch nicht so schnell wie das Gehirn, benötigt aber auch nicht eine so lange Schulzeit.
„mental images“ sind in Berlin angesiedelt. Ist Deutschland ein guter Standort?
Rolf Herken: Im Gegenteil, denn wir arbeiten mit Bildern. Vielleicht wäre der Süden, Italien oder Spanien besser, denn dort ist das Verständnis für Bilder größer. Je weiter man nach Norden kommt, desto schwieriger wird es, Interesse für Computerbilder zu wecken. Abgesehen davon ist das nationale Denken unsinnig. Software ist international, denn sie muß sich auf dem internationalen Markt verkaufen. Wir sind ein Team, das zufällig in Deutschland sitzt. Deutschland bietet für unsere Arbeiten auch deshalb kein förderliches Klima, weil das Verständnis für Computererzeugnisse kaum vorhanden ist. Die deutsche Öffentlichkeit ist erst in den achtziger Jahren mit dem Computer konfrontiert worden und dann vor allem als Arbeitsplatzbedrohung. Es ist außerdem absurd, daß hierzulande technische Erfindungen meistens einen schlechten Ruf haben und nicht so anerkannt werden wie andere Produkte der Phantasie.
In Frankreich kann man eine spontane Einbeziehung von Computertheorien auf die Philosophie schon in den fünfziger Jahren nachweisen. Warum ist so etwas in Deutschland nicht möglich gewesen?
Ansätze gibt es in Deutschland bei Frank und Steinbuch beispielsweise, aber Leute wie von Neumann, die zentrale Beiträge hätten liefern können, sind aus den bekannten Gründen schon vor dem Zweiten Weltkrieg ausgewandert, oder ihnen fehlte aufgrund der Auswanderungen dann das Umfeld wie im Fall von Hilbert. Die wichtigen Denker waren alle vor dem Zweiten Weltkrieg in Göttingen. Geblieben ist nur der Bastler Zuse.
Wann hat das Zeitalter der Rechenmaschinen begonnen?
Mit Turing, und zwar 1936/37 mit einer Arbeit über Berechenbarkeit. Er hat ein Denkmodell gefunden, das alle Berechnungsverfahren simulieren kann, die universelle Turing-Maschine. Turing hat das Modell gewissermaßen entdeckt und nicht erfunden, denn – wie gesagt – das Thema lag vor dem Zweiten Weltkrieg in der Luft. Aber von Turing wird man noch in tausend Jahren reden. Er hat etwas entdeckt, über das man sich mit allen Menschen unterhalten kann, eben den Computer. Über natürliche Zahlen und über Computer können Sie sich mit jedem Menschen und jedem außerirdischen Lebewesen auf Besuchsreise unterhalten.
Was bedeutet die Buchreihe Computerkultur für Sie?
Zunächst habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, um Übersetzungen zu verkaufen, mit denen ich meine Forschungen in der theoretischen Physik finanzieren wollte. Es war ursprünglich eine Idee, Geld für eine Doktorarbeit zu verdienen. Aber auf mehr als 4,50 Mark Stundenlohn kommt man dabei nicht. Später habe ich dann „mental images“ gegründet, aber das Buchprojekt nicht aufgeben wollen.
In welchem Verhältnis steht die Buchreihe Computerkultur zu Ihrer Ausbildung als theoretischer Physiker?
Mit den Texten kann man Verständnis für die Grundlagen der Naturwissenschaft erzeugen. Der Computer ist eine Chance für die naturalisierte Erkenntnistheorie. Sie stellt die Frage: Wie denkt der Mensch? Diese Frage interessiert die Physiker, weil sie in diesem Jahrhundert gemerkt haben, daß man in die Beschreibung von Phänomenen den Beobachter einbeziehen muß. Der Computer ist in der Lage, alles, was beschreibbar ist, zu simulieren und damit vorhersehbar zu machen. Manche Beschreibungen sind so komprimiert und in Formalismen eingefaltet, daß sie mit Hilfe des Computers dekomprimiert und durch die Beobachtung der Computerberechnungen entfaltet werden müssen, wenn sie zur Vorhersage von Verhalten nutzbar gemacht werden sollen. Wir benutzen beispielsweise Simulationen des menschlichen Sehverhaltens, um unsere Software herzustellen. Die Beschreibung einer Szene wird mit der Rendering-Software in Bilder verwandelt, die so aussehen, als wären sie von einer Kamera aufgenommen worden, oder so als würde sie ein Mensch sehen.
Ist die Natur ein Computer, eine Turing-Maschine?
Die Maschinenmodelle sind auf die Beschreibung der Natur anwendbar, nicht auf die Natur selbst. Grundsätzlich kann der Computer alles simulieren, was exakt beschreibbar ist. Natürlich muß man mit den Grenzen der technischen Machbarkeit umgehen lernen und ein Problem so geschickt in eine Beschreibung einfalten, daß der Computer sie in einer absehbaren Zeit durchrechnen kann. Der zentrale Punkt heute ist der geschickte Umgang mit beschränkten Ressourcen. Sehen Sie die Thermodynamik an: Sie kannmit wenigen Formeln das Verhalten von Gasen so beschreiben, daß man einen Kühlschrank bauen kann. Der Computer gerät sofort an die Grenzen seiner Rechenkapazität, wenn er das Verhalten der Gase simulieren soll. Es ist in diesem Fall nicht notwendig, das Verhalten der Gase exakt zu beschreiben und deshalb nicht sinnvoll, eine Computersimulation zu unternehmen.
Wie beurteilen Sie den Einsatz von Simulationen an der Börse?
Das Verhalten an der Börse ist so vielschichtig, daß keine allgemeine Vorschrift dafür gefunden werden kann. Wer diese Vorschrift hätte, könnte das Gesamtverhalten vorausberechnen und damit könnte er der Freiheit sämtlicher anderen Akteure ein Ende setzen. Er würde das Zusammenwirken der verschiedenen Verhaltensweisen ändern und das System der Börse umkippen. Allerdings ist immer der im Vorteil, der Kenntnisse über das Verhalten und die Funktion anderer hat. Er kann deren Verhalten steuern, das heißt nicht, daß er sein Wissen mißbrauchen muß. Meine Arbeit bei „mental images“ kann man als angewandte Erkenntnistheorie ansehen.
Nützt diese Erkenntnis zu mehr als nur zum Geldverdienen?
Ja, um sich gegen Macht zu wehren.
Sie arbeiten für Mercedes Benz und für BMW, gegen welche Macht müssen Sie sich wehren?
Was unsere Kunden mit der Software machen, bedroht uns nicht, weil wir wissen, was im Inneren der Maschinerie vor sich geht. Man muß sich darauf vorbereiten, daß die Staaten in Zukunft keine Bedeutung mehr haben, sondern die großen Firmen. Dort holt man sich bald den Personalausweis ab.
Ist ein gesellschaftlicher Fortschritt durch den Computer absehbar?
Er ist zumindest ein Hilfsmittel, das die Leute beschäftigt hält. Interview: Nils Röller
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