Paradiesische Zustände?

Auf Versuchsfeldern wird die Wirkung des Treibhausgases CO2 auf Getreide erforscht  ■ Von Annette Jensen

Aus den Rohren strömt ständig Kohlendioxid. Ein Computer registriert jeden Windhauch und schießt eine Dosis Gas nach, wenn die Konzentration absinkt. Die Weizenpflanzen goutieren das: Ihre Stiele sind länger als auf dem unbegasten Versuchsfeld nebenan; auch die Ernte wird üppiger ausfallen als üblich.

Das zusätzliche CO2 wirkt wie ein Dünger. Pflanzen bauen daraus mit Hilfe von Lichtenergie und Wasser Kohlehydrate auf. Ein höheres CO2-Angebot erlaubt ihnen außerdem, die Spaltöffnungen an den Blättern, durch die sie das Lebenselexier aufnehmen, nur geringfügig zu öffnen. So verlieren sie kaum Feuchtigkeit, folglich sinkt ihr Wasserbedarf. Werden also für Pflanzen paradiesische Zustände herrschen, wenn die Kohlendioxidkonzentration aufgrund menschlichen Energieverbrauchs steigt? Kann die weltweite Nahrungsmittelproduktion durch unsere Abgase sogar erhöht werden?

„Auf dem Versuchsfeld in Arizona herrschen extrem günstige Bedingungen. Die Pflanzen haben optimale Sonnen- und Bewässerungsverhältnisse und bekommen genügend Nährstoffe“, erläutert Wolfgang Cramer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, das an dem Versuch beteiligt ist. Mit Meßgeräten, die überall zwischen dem Versuchsweizen herumstehen, versuchen die ForscherInnen, die Einflüsse der Umwelt auf die Lebensfunktionen des Getreides zu verstehen. Die Erkenntnisse wollen sie in mathematische Formeln übersetzen. Ein damit gefütterter Computer kann dann auch andere Umweltbedingungen simulieren, so daß die ForscherInnen Prognosen für verschiedene Weltgegenden machen können, ohne dort einen Feldversuch durchführen zu müssen.

Bei anderen Experimenten haben WissenschaflerInnen bereits herausgefunden, daß nur ein Nährstoffüberfluß zu höheren Erträgen führt. Sind Wasser und Licht knapp, bewirkt das CO2 kein zusätzliches Wachstum. Hinzu kommt, daß nicht alle Pflanzen die CO2-Düngung gleichermaßen für sich nutzen können, so daß in natürlichen Ökosystemen viele Arten verdrängt würden. Mais und Reis zum Beispiel sind Pflanzen, die das vorhandene Kohlendioxid schon heute ohne Energieverluste gut aufnehmen können und deshalb nur wenig Vorteil von der zusätzlichen Düngung hätten. Bei ihnen rechnen die WissenschaftlerInnen deshalb mit einer höchstens 10prozentigen Ertragssteigerung, während andere Pflanzen bis zu 33 Prozent mehr Biomasse produzieren könnten. So faßt die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ des Bundestags zahlreiche Untersuchungsergebnisse zusammen.

Der CO2-Anstieg ist jedoch nicht ohne eine Erwärmung des Weltklimas zu haben. Mit jedem zusätzlichen Grad werden sich die Vegetationszonen 200 bis 300 Kilometer in Richtung der Pole verschieben. Und da hat der Traum vom weltweiten Nahrungsmittelzuwachs dann schnell seine Grenzen. Denn die Böden im hohen Norden sind weniger fruchtbar als in den tropischen Gebieten, die dann aufgrund der hohen Verdunstung möglicherweise zu neuen Wüsten werden. Insbesondere Bäume werden es wegen ihres langsamen Wachstums schwer haben, die Standortverlagerung mitzumachen. Zwar sind viele Arten auch nach der letzten Eiszeit allmählich nach Norden gewandert. Aber dafür hatten sie mindestens zehnmal so viel Zeit, wie ihnen der erwartete Temperaturanstieg läßt.

„Die Szenarien sind sehr unterschiedlich, konkrete Wettervorhersagen lassen sich nicht machen“, warnt Cramer vor Kurzschlüssen. Aber auch er hält es für wahrscheinlich, daß die Niederschläge vielerorts so massiv zurückgehen, daß das auch durch den geringeren Wasserbedarf der Pflanzen aufgrund der CO2-Düngung nicht ausgeglichen werden kann. „Eine Versteppung des jetzt schon relativ trockenen Ostens Deutschlands ist nicht auszuschließen.“

Im allgemeinen rechnen die ForscherInnen dennoch damit, daß die Wärme zumindest in unseren Breitengraden der landwirtschaftlichen Produktion mehr nützt als schadet, weil das Temperaturoptimum vieler Pflanzen ein paar Grad höher liegt, als sie es heute hierzulande vorfinden. Um künstliche Bewässerung aber wird man aber an vielen Standorten nicht herumkommen.

Fatal allerdings sieht es für Länder in der Nähe des Äquators aus. Die Hitze läßt viele Pflanzen schneller altern oder gar absterben. Reis, das Hauptnahrungsmittel vieler Regionen, reagiert auf Hitze mit Sterilität. Der schon heute harte Kampf ums Wasser wird sich weiter verschärfen. „Die Getreidepreise auf dem Weltmarkt würden infolgedessen erheblich ansteigen. Millionen Menschen droht dann Jahr für Jahr der Hungertod“, faßt die Enquete- Kommission mehrere Prognosen zusammen. Sämtliche Klimaszenarien gehen davon aus, daß es aufgrund des Temperaturanstiegs zu weltweiten Ertragseinbußen von 11 bis 20 Prozent kommen wird. Wieviel davon der CO2-Düngeeffekt ausgleichen kann, ist höchst umstritten. Die Rechnung hat noch viele Unbekannte. Nicht nur extreme Wetterereignisse wie Hagelschauer und Stürme werden nach vielen Szenarien zunehmen. Auch die Insekten, die die Pflanzen bestäuben, bleiben von der veränderten Umgebung nicht unberührt.

Umgekehrt können sich auch die Blütezeiten der Pflanzen verändern, so daß die heute noch gut aufeinander abgestimmten Entwicklungsphasen von Pflanze und Tier nicht mehr miteinander harmonieren. Vielen Krankheitserregern und Schädlingen werden die ausbleibenden Fröste sehr zupaß kommen. Ganze Ökosysteme können aus den Fugen geraten. Sind erst einmal einige Arten verschwunden, kommt es womöglich zu einem Dominoeffekt beim Aussterben, der dann nicht mehr zu stoppen sein wird.