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Der alltägliche Tod in Ruandas Gefängnissen

■ 22 Gefangene erstickt / In überfüllten Zellen sterben jeden Monat Hunderte

Berlin (taz) – Die Wärter, so der Polizeichef, hätten nicht reagiert, weil sie glaubten, es handele sich um eine der „üblichen Auseinandersetzungen“. Am nächsten Morgen war es zu spät: In der Gefängniszelle, die sie hatten bewachen sollen, fanden sie 22 Leichen, nur 52 Insassen lebten noch. Eigentlich finden in der Zelle der Polizeiwache von Muhima in Ruandas Hauptstadt Kigali, nur zehn Menschen Platz. Der Massenerstickungstod in der Nacht zum Freitag, den die UNO jetzt öffentlich machte, ist der schwerste bekannte Einzelvorfall in Ruandas Gefängnissen, seit die Ex-Guerilla „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) im vergangenen Sommer die Macht übernahm.

Gab es in Ruanda im Sommer erst einige hundert Häftlinge, sind es inzwischen über 23.000. Verwunderlich ist das nicht in einem Land, das vor noch nicht einmal einem Jahr Schauplatz eines der brutalsten Völkermorde der Welt war. Zwischen einer halben Million und einer Million Menschen starben im vergangenen Frühjahr, als die Milizen des damaligen Hutu-Regimes ihre Gegner sowie die Tutsi-Minderheit auszulöschen versuchten, bevor sie selber die Macht verloren. Zu allgemeinen Racheakten gegen die Täter ist es seither nicht gekommen – doch viele Menschen, der Beteiligung am Völkermord denunziert, landen im Gefängnis, manchmal mit fadenscheinigen Begründungen.

Die taz dokumentierte im vergangenen August den Fall des Ex- Diplomaten Sylvestre Kamali, der im Keller seines Hauses in Kigali das Morden überlebte und später aber der Beteiligung an den Massakern beschuldigt wurde. Sein angebliches Mordopfer soll nach Angaben von „amnesty international“ noch leben – er selber sitzt aber weiter in Haft. Da es in Ruanda keine funktionierenden Gerichte gibt, ist eine juristische Klärung solcher und ähnlicher Fälle nicht möglich. So füllen sich die Haftanstalten immer weiter. 200 bis 300 Gefangene sterben monatlich an den schlechten Haftbedinungen – diese Zahl nannte das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte Anfang März. „Die Menschen können sich nachts nicht einmal hinlegen, weil sie in die Zellen hineingepfercht sind“, sagte UN-Mitarbeiter Georg Mautner-Markhof in Genf.

Warum sich an diesen Zuständen so wenig ändert, machte zugleich der UN-Sonderbeauftragte Shahryar Khan deutlich: Die materiellen Bedingungen für den Wiederaufbau seien immer noch nicht vorhanden, von den im Februar auf einer internationalen Hilfskonferenz zugesagten 600 Millionen Dollar sei kaum etwas da, sagte er in Nairobi. Sollte es dabei bleiben, werden sich die Häftlingszahlen in Ruanda wohl weiter allein auf dem natürlichen Wege reduzieren. Immerhin sollen die Beamten, die dem Erstickungstod der 22 untätig zuhörten, nun selber festgenommen worden sein. Dominic Johnson

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