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Gewunden und eingestemmt

■ Holztreppen, Laufgänge, Lichtaugen: In der Spandauer Vorstadt sind noch 130 Treppenhäuser aus dem 19. Jahrhundert erhalten und nun auch in einem Buch zu bewundern

Bislang waren die verwinkelten und verschrobenen Ecken der Spandauer Vorstadt, dem Restbestand der Berliner Altstadt, allein den Straßen- und Hofgängern vorbehalten. Das könnte sich bald ändern. Mit dem nun im be.bra-verlag erschienenen Buch „Berliner Treppen in Wohngebäuden des 17. und 19. Jahrhunderts“ (48 Mark) sind die Berlin-Fans aufgefordert, ihre Nasen künftig auch in die Treppenhäuser zu stecken.

Während aus dem 18. Jahrhundert nur noch wenige Treppenanlagen erhalten sind, gibt es alleine aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 130 historische Treppenhäuser in der Spandauer Vorstadt und Friedrich-Wilhelm-Stadt. Die Vielfalt ist beträchtlich und reicht von der einfachen Holztreppe in der Joachimstraße 21 bis zu den in der Durchfahrt beginnenden Treppenanlagen der Wohn- und Geschäftsgebäude bis 1840. 57 Treppen hat der Autor des Bildbandes, der Architekt und Bauhistoriker Volker Hübner, in Wort und Bild dokumentiert. Darunter befinden sich die älteste erhaltene Anlage in der Brüderstraße 10 von 1680 oder Kleinode wie in der Neuen Schönhauser Straße 8 von 1787. Im Vordergrund freilich steht die Kunst der Stufenbauer in den Wohnhäusern des 19. Jahrhunderts.

Als Zäsur in der Stadtgeschichte erweist sich einmal mehr die Bauordnung aus dem Jahre 1853. Dieser Erlaß, aufgrund seiner Vorschrift über den Wendekreis einer Feuerspritze mitverantwortlich für den Mietskasernenbau, schrieb auch Treppengeschichte. Wegen Feuergefahr durften fortan keine Holztreppen mehr gebaut werden. Der Niedergang der Berliner Treppenbaukunst war freilich bereits seit den vierziger Jahren mit dem Bau vorwiegend aufgesattelter statt eingestemmter Trittstufen augenfällig. Mit dem gründerzeitlichen Massenwohnungsbau schließlich war es mit der Formenvielfalt treppauf, treppab endgültig zu Ende.

Mit Hübners Buch liegt erstmals seit 1912 (!) wieder eine umfassende und darüber hinaus überaus lesenswerte Dokumentation der Berliner Treppenbaukunst vor. Eine Kunst, die trotz der Ausweisung der Spandauer Vorstadt als Flächendenkmal immer wieder bedroht ist. In der Oranienburger Straße 5 zum Beispiel plant der Eigentümer den Abriß mehrerer Gebäudeteile samt Treppenhäuser. Andernorts freilich hat man gelernt. In der Neuen Schönhauser Straße 15 wird derzeit eine Treppenanlage restauriert, wie man sie sonst nur aus Wien oder Budapest kennt: ein Laufgang entlang des Innenhofs, der die verschiedenen Gebäudeteile miteinander verbindet. Uwe Rada

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